Nachfolgend ein Interview vom

 Wirtschaftskrimi in Italien und mittendrin ein Thüringer Anwalt
Mit dem Mühlhäuser Wirtschaftsanwalt Carsten Oehlmann sprach Jürgen Wand über die Rettung von 70 Arbeitsplätzen.
Wirtschaftskrimi in Italien und mittendrin ein Thüringer Anwalt
Carsten Oehlmann verhandelt. Foto: Attualità Cesni srl Eco di Bergamo

Mühlhausen. Produktionsstillstand bei der Firma Fiber srl im italienischen Arcene vor etwas mehr als ein Jahr. Das Alarmsignal rüttelte die Branche wach, Lieferanten wie Kunden, auch die AZ-Gruppe in Deutschland, die bei Fiber Elektromotoren und Kleingetriebe für Spezialausrüstungen in der Industrie kaufte. Bei AZ-Kunden in ganz Europa drohten durch den Stillstand in Italien die Montagebänder stillzustehen. Viele Hundert Arbeitsplätze gerieten in Gefahr, weil eine am Luganer See lebende Unternehmerin ihr neues Heil in Rumänien suchen wollte. Sämtlichen Mitarbeitern wurde gekündigt und damit begonnen, Produktionsmittel nach Rumänien zu schaffen. In dieser Situation besetzten die Mitarbeiter das Produktionsgelände. Als die vertraglich vereinbarte Lieferung ausblieb, fuhr der Chef der deutschen AZ-Gruppe mit Hauptsitz im Taunus und Produktionsanlagen etwa auch im Freistaat Sachsen, zusammen mit seinem Aufsichtsratsmitglied, dem Mühlhäuser Wirtschaftsanwalt Carsten Oehlmann, in die Schweiz zu der Unternehmerin.

Was brachte diese Dienstreise in die Alpenrepublik? Es ging uns um zivilrechtliche Schadenersatzansprüche und mögliche strafrechtliche Konsequenzen. Nach 15 Minuten: Verhandlungsunterbrechung. Der externe Steuerberater der Unternehmerin eröffnete die zweite Runde dem Satz: „You re right“. Und da wussten wir, dass wir eine Lösung hinbekommen. Die Unternehmerin hat in unserem Beisein ihre Demission unterschrieben. Ohne diese Unterschrift wären wir nicht weggefahren. Und dann haben wir uns in Mailand heimlich mit einem leitenden Mitarbeiter von Fiber getroffen. Als er das Schriftstück sah und er begriff, dass der Kampf der Arbeiter nunmehr eine Chance hatte, kamen bei ihm die Tränen.

Sie hatten sozusagen den Erwerb des gesamtes Firmenkonsortiums initiiert. Warum? Je mehr Informationen wir über das Unternehmen und zwei weitere angegliederte Firmen bei den Prüfungen bekamen, desto deutlicher wurde für uns, dass der wahre Wert deren Mitarbeiter sind. Gut ausgebildeten Arbeiter, die über langjährige Erfahrung in ihrer Tätigkeit verfügten und mit den überalterten Maschinen die Produkte herstellten und dies noch in akzeptabler Qualität. Da gibt es einige wenige Regionen in Europa mit traditionellen Standorten für derartige mittelständische Unternehmen, etliche davon in Deutschland, ganz sicher in Norditalien, aber nicht in Rumänien. Leider wurden nach der Wende nicht nur hier bei uns vergleichbare Unternehmen reihenweise abgewickelt und auf diese Weise tausende von Arbeitsplätzen vernichtet. In der TA läuft ja dazu eine sehr interessante Dokumentationsreihe, die ich nicht nur aus geschichtlichen Gründen für sehr lesenswert erachte.

Eine ähnliche Situation jetzt auch in Norditalien? Das ist so. Im Umgang mit Lieferanten, örtlichen Banken, Industrieverbänden und insbesondere den dort sehr starken Gewerkschaften zeigte sich, dass diese auf dem Stand von Mitte der 90er Jahre sind. Wir Deutsche haben einen unglaublichen Erfahrungsvorsprung bei der Sanierung maroder Strukturen. Wir haben damals viele Fehler gemacht, die fast immer die Arbeiter teuer bezahlt haben. Aber es sind neue Strukturen entstanden, regionale Banken und Sparkassen sind gut aufgestellt und stehen heute dem Mittelstand zur Seite. Das verschafft uns einen strategischen Wettbewerbsvorteil.

Wie meinen Sie das? In Deutschland sind wir kaum mehr in der Lage, nennenswertes Wachstum in Unternehmen zu generieren. Für weitere Steigerungen fehlen insbesondere gut ausgebildete Facharbeiter. Es drängt sich regelrecht auf, neue Produktionsstandorte im europäischen Ausland zu suchen und damit zu den Fachkräften zu gehen, die uns hier zu Hause fehlen. Wenn man mit diesen Hintergründen ein bereits bestehendes Unternehmen in eben einem solchen Land in Europa übernimmt, hat man sich zugleich auch einen zusätzlichen Markt in andere Länder erkauft und kann sofort loslegen. Durch besagten Zukauf haben wir den Konzernumsatz auf einen Schlag um mehr als 20 Prozent ausweiten können und zugleich weitere Fertigungskompetenzen in der deutschen AZ-Gruppe hinzugewinnen können. Insoweit führt dies bereits jetzt zur stärkeren Auslastung der hiesigen Standorte.
Was heißt das konkret? Das Unternehmen wurde einvernehmlich in eine Art vorläufiges Insolvenzverfahren geführt. Sodann hatten verschiedene Bieter die Möglichkeit, ihr Kaufangebot abzugeben. Wir hatten weitere Mitbewerber, die teilweise namhafte europäische Investmentbanken im Rücken hatten. In der letzten Runde haben wir das zahlenmäßig mit Abstand geringste Angebot abgegeben, haben aber als einzige angeboten, sämtliche Mitarbeiter zu übernehmen. Da sind die Mitbewerber ausgestiegen.
Und der Kaufpreis? Nur das während der übergangsweisen Firmenanpachtung verbrauchte Warenlager haben wir mit Abschlägen bezahlt und eine Reihe von Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern übernommen, die allerdings erst mit deren Ausscheiden als Einmalzahlung fällig werden. Uns ist es gelungen, bereits während der Anpachtung der Unternehmen diese wieder signifikant in die schwarzen Zahlen zu führen. Aktuell stehen Investitionen in Maschinen und Anlagen an, die sich aber sehr schnell amortisieren werden. Die Anzahl der Mitarbeiter hat sich inzwischen sogar erhöht, in etwa zwei Monaten erfolgt eine Umstellung auf Zwei-Schicht-Betrieb.
Das hört sich nach einer Erfolgsgeschichte an? Entscheidend war die zutreffende Einschätzung durch den Konzernchef der AZ-Gruppe, Dirk Zimmermann, der langjährige Erfahrungen in einem Dax-Konzern in gehobener Position sammeln konnte, bevor er das väterliche Unternehmen übernahm und dieses in einigen Segmenten zum Marktführer in Europa entwickeln konnte. Mit entscheidend war aber auch die Vertragsmechanik zur Risikominimierung und die gelungene Umarmungsstrategie gegenüber den Gewerkschaften. Wir haben dort faktisch Mitbestimmung nach deutschem Vorbild eingeführt. Besonderer Erwähnung bedarf auch der Umstand, dass gerade die gut ausgebildeten Frauen in Italien, mit denen wir nahezu durchgängig die Führungspositionen neu besetzt haben, die Integration der Unternehmen in die AZ-Gruppe befördert haben. Da können wir hier in Deutschland noch dazu lernen. Und der letzte Baustein des Erfolges war die Hausbank.
Was ist mit der Alteigentümerin geschehen?Die Dame wurde im ersten Schritt von ihren anwaltlichen Beratern ziemlich allein gelassen. Der Hauptdrahtzieher wurde zwischenzeitlich wegen anderer Machenschaften in Italien rechtskräftig, etwa wegen Geldwäsche, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, sitzt aber dort nicht ein. Heute steuert dieser Berater aus der Schweiz heraus Kollegen in Italien, mit denen ich mich wegen der Firmenimmobilien noch ein wenig herumärgern muss. Ich vertrete heute die Auffassung, dass die Unternehmerin selbst nicht nur Täterin, sondern auch Opfer ist. Sie hat viel verloren. Aber mein Mitleid hält sich in Grenzen. Die drohende Existenzvernichtung von mehr als 70 Familien hat ihr auch keine schlaflosen Nächte bereitet.
Carsten Oehlmann / 12.03.13 / TA