Nachfolgend ein Beitrag vom 21.12.2016 von Merten, jurisPR-HaGesR 12/2016 Anm. 1
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Eine führungslose GmbH ist in einem gegen sie gerichteten Insolvenzeröffnungsverfahren nicht vertreten und damit nicht prozessfähig.
2. Die mangelnde Prozessfähigkeit betrifft auch den Fall des § 15a Abs. 3 InsO. Die Gesellschafter einer führungslosen GmbH sind mangels Vertretungsbefugnis nicht zur Insolvenzantragstellung befugt.
A. Problemstellung
Im Fall der Führungslosigkeit einer GmbH sind bei deren Insolvenzreife die Gesellschafter gemäß § 15a Abs. 3 InsO – unter Strafandrohung (§ 15a Abs. 4 InsO) – zur Insolvenzantragstellung verpflichtet. § 15a Abs. 3 InsO enthält jedoch insoweit keine Vertretungsregelung, und § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG räumt den Gesellschaftern im Fall der Führungslosigkeit lediglich ein passives Vertretungsrecht zur Entgegennahme von Willenserklärungen und als Zustellungsempfänger ein. Es stellen sich daher die Fragen, ob die führungslose GmbH in einem Eigenantragsverfahren prozessfähig ist und ob der Gesellschafter, obwohl er nicht aktiv vertretungsberechtigt ist, zur Insolvenzantragstellung befugt ist. Obiter dictum setzt sich der vorliegende Beschluss mit der Frage auseinander, ob die führungslose GmbH in einem Fremdantragsverfahren prozessfähig ist, d.h. ob Insolvenzanträge von Gläubigern einer führungslosen GmbH zulässig sind.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der GmbH-Gesellschafter beantragte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, nachdem deren Geschäftsführer gemäß § 395 FamFG von Amts wegen im Handelsregister gelöscht worden war. Ein neuer Geschäftsführer war trotz Aufforderungen durch das Register- und das Insolvenzgericht nicht bestellt worden.
Nach der vorliegenden Entscheidung des AG Oldenburg scheitert ein gegen die führungslose GmbH gerichteter Insolvenzantrag des Gesellschafters an der fehlenden Prozessfähigkeit der GmbH in einem gegen sie gerichteten Eröffnungsverfahren. Die durch das MoMiG eingeführten und ab 01.11.2008 gültigen Änderungen des § 15a Abs. 3 InsO und des § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG hätten nämlich am Fehlen der Außenvertretungsbefugnis der Gesellschafter nichts geändert. Zwar sei die Übertragung der Insolvenzantragspflicht im Fall der Führungslosigkeit sinnvoll und richtig, damit sich die Gesellschaft nicht der Ermittlung von Anfechtungssachverhalten und von Ansprüchen der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter und (vormaligen) Geschäftsführer entziehe. Das Fehlen einer entsprechenden, die Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter ergänzenden gesellschaftsrechtlichen Regelung führe allerdings zu der unbefriedigenden Situation eines notwendig zu stellenden, gleichwohl aber unzulässigen Antrags.
Zutreffend führt das Gericht aus, dass weder § 15a Abs. 3 InsO noch § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG eine Außenvertretungsbefugnis der Gesellschafter im Fall der Führungslosigkeit begründen. Insbesondere statuiert § 15a Abs. 3 InsO lediglich eine Insolvenzantragspflicht, ein Antragsrecht der Gesellschafter hingegen nicht. In seinem Beschluss übersieht das Gericht jedoch die ebenfalls durch das MoMiG im Zusammenhang mit § 15a Abs. 3 InsO eingeführte Neuregelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO. Danach ist bei einer juristischen Person im Fall der Führungslosigkeit jeder Gesellschafter zur Antragstellung berechtigt. § 15 InsO wurde durch diese Neuregelung ergänzt, weil dem „nach § 15a Abs. 3 InsO zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichteten Gesellschafter ein entsprechendes Antragsrecht zustehen“ müsse, BT-Drs. 16/6140, S. 55). Demnach normiert nach in der Literatur wohl allgemeiner Ansicht § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO ergänzend zur Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 3 InsO ein korrespondierendes Antragsrecht (vgl. Linker in: Hamburger Komm. InsO, 5. Aufl. 2015, § 15 Rn. 12; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 15 Rn. 2a; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1984). Als lex specialis geht § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO den Regelungen der §§ 51 f. ZPO vor und regelt im Eigenantragsverfahren die Verfahrensfähigkeit der führungslosen GmbH (vgl. Horstkotte, ZInsO 2009, 209, 212; ebenso Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHR, 8. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu § 64 Rn. 50). Die Gesellschaft ist somit insoweit prozessfähig. Diese gegenständlich beschränkte Prozessfähigkeit wird durch § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO ergänzt, eine Vorschrift deren Regelung im vorliegenden Beschluss ebenfalls nicht gewürdigt wurde, und die die Gewährung rechtlichen Gehörs im Fall der Führungslosigkeit der Gesellschaft sicherstellt.
Nach zutreffender Ansicht besteht somit entgegen dem Beschluss des AG Oldenburg in den Fällen des § 15a Abs. 3 InsO unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 InsO ein Antragsrecht der Gesellschafter aus § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Gesellschaft ist insoweit prozessfähig (im Ergebnis ebenso: Laroche, NZI 2016, 925, 927).
C. Kontext der Entscheidung
Obiter dictum führt das Gericht aus, dass die Führungslosigkeit (auch) die Unzulässigkeit von Fremdanträgen zur Folge habe. Dies erscheint zunächst konsequent, denn eine über das Recht zur Eigenantragstellung und Anhörung hinausgehende subsidiäre Befugnis der Gesellschafter zur aktiven Vertretung, insbesondere zur Einlegung von Rechtsmitteln, besteht nicht. Dagegen wird eingewendet, dass die Gesellschaft, deren Anhörung über § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO gewährleistet ist, in diesen Fällen keinen unvertretbaren Nachteil erleide, denn zur Wiederherstellung der umfassenden Verfahrensfähigkeit seien die Gesellschafter im Hinblick auf das Selbstberufungsrecht gemäß § 50 GmbHG durch Bestellung eines neuen Geschäftsführers unschwer in der Lage (Horstkotte, ZInsO 2009, 209, 213). Dies mag vorliegend dahingestellt bleiben, denn durch die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 4 InsO, § 57 Abs. 1 ZPO, der die notwendig werdenden Handlungen für die Gesellschaft im Insolvenzverfahren vornimmt, kann die aktive Prozessfähigkeit der Gesellschaft im Insolvenzverfahren jedenfalls kurzfristig und vollständig herbeigeführt werden. Die (zusätzliche) Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 29 BGB ist prozessual nicht erforderlich (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.04.2001 – 3 W 23/01).
D. Auswirkungen für die Praxis
Nach hier vertretener Ansicht scheitert ein Insolvenzantrag eines Gesellschafters einer führungslosen GmbH entgegen AG Oldenburg jedenfalls nicht an dem Fehlen eines Geschäftsführers (ebenso Laroche, Urteilsanmerkung zur vorliegenden Entscheidung in: NZI 2016, 925, 927). Wie die besprochene Entscheidung des AG Oldenburg vor Augen führt, hat der zur Insolvenzantragstellung verpflichtete Gesellschafter jedoch zu gewärtigen, dass dies von dem Insolvenzgericht eventuell anders gesehen und sein Antrag mangels Prozessfähigkeit der Gesellschaft als unzulässig abgewiesen wird. Wenn es den Gesellschaftern in der Insolvenzsituation nicht gelingt, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen, ist ihnen daher dringend zu empfehlen, bei dem Insolvenzgericht die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 4 InsO, § 57 Abs. 1 ZPO zu beantragen. Denn ein unzulässiger Insolvenzantrag vermag die straf- und haftungsrechtlichen Folgen des § 15a Abs. 4 InsO nicht auszuschließen.
Zu beachten ist des Weiteren, dass ein Eigenantrag regelmäßig nur dann zulässig ist, wenn er den Anforderungen des § 13 Abs. 1 InsO genügt. Dem Eigenantrag ist insbesondere ein (ggf. gemäß Satz 4 der Vorschrift qualifiziertes) Gläubigerverzeichnis mit der Erklärung beizufügen, dass die darin enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind, § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO. Ob dies auch in dem (Ausnahme-)Fall des § 15a Abs. 3 InsO gilt, ist – worauf Laroche (NZI 2016, 925) hinweist – bisher nicht geklärt.
Im Fall eines Gläubigerantrags gegen eine führungslose GmbH ist den Antragstellern ebenfalls dringend anzuraten, bei dem Insolvenzgericht Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers zu stellen.