Nachfolgend ein Beitrag vom 27.09.2016 von Hecker/Bertling, jurisPR-HaGesR 9/2016 Anm. 3
Leitsätze
1. Die persönliche Haftung der Gesellschafter nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 24.01.2012 (II ZR 109/11 – BGHZ 192, 236) entsteht weder bereits mit der Fassung des Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund des Umstands, dass die Gesellschaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert ist oder sie unter Berufung auf dieses Hindernis verweigert. Die persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht erst in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist.
2. Liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens vor, so haften die Gesellschafter auch dann, wenn die Einziehung nicht gegen den Willen des betroffenen Gesellschafters, sondern mit seiner Zustimmung erfolgt.
3. Eine Haftung der verbliebenen Gesellschafter entsteht grundsätzlich dann nicht zwingend, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenzreif ist und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird.
A. Problemstellung
Im vorliegenden Verfahren stritten die Parteien über die Voraussetzungen der persönlichen Haftung von GmbH-Gesellschaftern für den Abfindungsanspruch bei Einziehung eines Geschäftsanteils mit Willen des betroffenen Gesellschafters. Dabei waren sowohl der Zeitpunkt der Entstehung der persönlichen Haftung wie auch deren materielle Voraussetzungen umstritten.
Die Fragen, wann eine von den Gesellschaftern beschlossene Einziehung des Geschäftsanteils wirksam wird und was die Voraussetzungen der persönlichen Haftung von GmbH-Gesellschaftern für den Abfindungsanspruch sind, haben schon in der Vergangenheit für Rechtsunsicherheit gesorgt. Das GmbHG trifft in § 34 nur rudimentäre Regelungen zur Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, so dass viele Problemkreise im Zusammenhang mit der Einziehung von Geschäftsanteilen, sei es gegen den Willen oder mit Zustimmung des betroffenen GmbH-Gesellschafters, von (höchst-)richterlicher Rechtsfortbildung geprägt werden (vgl. hierzu u.a.: BGH, Urt. v. 20.09.1999 – II ZR 345/97; BGH, Urt. v. 24.01.2012 – II ZR 109/11; BGH, Urt. v. 02.12.2014 – II ZR 322/13).
Mit seinem hier besprochenen Urteil vom 10.05.2016 schafft der BGH weitere Klarheit bei der Rechtsanwendung in diesem Themenfeld.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war als Gesellschafter an einer GmbH beteiligt. Die Gesellschafterversammlung beschloss mit Zustimmung des Klägers, dessen Geschäftsanteil einzuziehen und ihm als Abfindung 900.000 Euro in insgesamt drei gleichen Raten zu zahlen.
Im Einziehungsbeschluss wurde auf den am selben Tage abgeschlossenen „Vergleich“ zwischen allen Gesellschaftern der GmbH Bezug genommen, nach welchem die Mitgesellschafter und späteren Beklagten ihre Geschäftsanteile im Hinblick auf den Abfindungsanspruch an den Kläger verpfänden sollten. Der Kläger sollte berechtigt sein, diese Geschäftsanteile zu verwerten, wenn die Gesellschaft mit einer Abfindungsrate einen Monat in Verzug geraten würde. Die Einziehung sollte nach dem „Vergleich“ erst mit Zahlung der ersten Rate und der notariell beurkundeten Verpfändung der Geschäftsanteile wirksam werden. Weitere Details enthielt der Vergleich u.a. zur Frage künftiger Ausschüttungen.
Die Gesellschaft zahlte die ersten beiden Abfindungsraten entsprechend der Beschlussfassung. Hinsichtlich der dritten Rate teilte die Gesellschaft mit, wegen einer bilanziellen Überschuldung zur Zahlung nicht in der Lage zu sein. Auf Eigenantrag wurde mehr als sechs Monate nach Fälligkeit der dritten Rate das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet.
Der Kläger verlangte von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung der letzten Abfindungsrate in Höhe von 300.000 Euro nebst Zinsen.
Das LG Hildesheim (Urt. v. 08.11.2013 – 4 O 321/12) hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht (OLG Celle, Urt. v. 19.11.2014 – 9 U 19/14) hat die vier Beklagten zur Zahlung von je 75.000 Euro nebst Zinsen verurteilt. Dagegen wehrten sich die Beklagten mit ihrer Revision. Diese hatte Erfolg und führte zu einer Zurückverweisung an das OLG Celle.
Das Oberlandesgericht hat es nach Ansicht des BGH insbesondere versäumt, abschließend zu klären, ob bei dem zugrunde liegenden Sachverhalt tatsächlich eine Treuepflichtverletzung seitens der Mitgesellschafter festgestellt werden kann. Eine persönliche Haftung der Mitgesellschafter kann nach Ansicht des BGH nur bejaht werden, wenn ein treuwidriges Verhalten vorliegt (vgl. hierzu unten). Im konkreten Fall war offen, ob die Vermögenssituation der Gesellschaft bei Fälligkeit der dritten Rate tatsächlich eine Auszahlung ausschloss und ob ggf. die spätere Insolvenzantragspflicht treuwidrig von den Gesellschaftern verzögert wurde. Darüber hinaus war streitrelevant, aber ungeklärt, ob durch den Vergleich eine individuelle Vereinbarung der Gesellschafter vorlag, mit der die subsidiäre Haftung der Gesellschafter gesondert geregelt wurde.
Ungeachtet der Tatsache, dass der II. Zivilsenat das Verfahren an das Oberlandesgericht zurückverwies, traf er einige Feststellungen, die bei Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern im Hinblick auf Abfindungsansprüche beim Ausscheiden zu beachten sind:
So stellt der BGH in seiner Entscheidung erneut klar, dass ein Einziehungsbeschluss nicht etwa deshalb nichtig sei, weil zum Zeitpunkt der Beschlussfassung schon festgestanden habe, dass die Abfindung nicht aus dem durch die §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG geschützten Vermögen hätte gezahlt werden können (so bereits: BGH, Urt. v. 24.01.2012 – II ZR 109/11 – BGHZ 192, 236 Rn. 7).
Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Einziehung erklärte der BGH, dass diese nicht bereits mit dem Zugang des Einziehungsbeschlusses beim Kläger wirksam geworden sei, sondern kraft individueller Vereinbarung erst mit Zahlung der ersten Rate sowie der notariellen Verpfändung der Geschäftsanteile wirksam wurde. Durch die Inbezugnahme des Vergleichs im Rahmen des Einziehungsbeschlusses habe – in zulässiger Weise – eine konkludente, individuelle Abrede über den Wirksamkeitszeitpunkt der Vernichtung des Geschäftsanteils vorgelegen.
Ebenso habe mit dem Vergleich eine individuelle Abrede zur Fälligkeit des Abfindungsanspruchs vorgelegen. Demnach sei die dritte Rate der Abfindung erst nach Eintritt der vereinbarten Fälligkeitsvoraussetzungen (Zahlung der ersten und zweiten Rate und Verpfändung der Geschäftsanteile) fällig geworden. Der Abfindungsanspruch könne in entsprechender Weise gestundet werden, so dass er erst zu einem individuell vereinbarten Zeitpunkt fällig werde (vgl. hierzu: BGH, Urt. v. 09.01.1989 – II ZR 83/88 – ZIP 1989, 770, 772).
Auch wenn der BGH zu weiteren Feststellungen zu diesem Fragenkomplex die Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwies, stellte er fest, dass Gesellschafter zudem eine individuelle Abrede hinsichtlich der subsidiären Haftung bei Ausfall der Gesellschaft treffen können. So kann die Sekundärhaftung der Gesellschafter durch alternative Sicherungsinstrumente (z.B. durch Anteilsverpfändung) ersetzt oder eine bestimmte Reihenfolge bei Inanspruchnahme der Sicherungsmittel vereinbart werden.
Schließlich machte der BGH auch Ausführungen zur Frage, wann eine persönliche Haftung der Mitgesellschafter für Abfindungszahlungen in Betracht kommt. Er verwies zunächst wiederum auf das Senatsurteil vom 24.01.2012 (II ZR 109/11 – BGHZ 192, 236 Rn. 13 ff.), in dem klargestellt worden sei, dass die Einziehung grundsätzlich unabhängig von der Zahlung der Abfindung wirksam ist und dass die übrigen Gesellschafter, sollte die Gesellschaft die Abfindung wegen der Sperre aus den §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG nicht zahlen können, zur anteiligen Zahlung der Abfindung persönlich verpflichtet sein können. Eine solche persönliche Haftung der Gesellschafter entstehe aber weder mit der Fassung des Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund der Tatsache, dass die Gesellschaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gem. § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert sei oder sie jedenfalls unter Berufung auf dieses Hindernis verweigere. Die persönliche Haftung der Gesellschafter entstehe erst, wenn sich diese treuwidrig in Bezug auf die Auszahlung der Abfindung verhielten; also erst in einem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen sei. Hierbei sei es unerheblich, ob die Einziehung gegen den Willen des betroffenen Gesellschafters oder mit seiner Zustimmung erfolge (Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 64a; a.A. Priester, ZIP 2012, 658, 660). Der Haftungsgrund, dass die Gesellschafter weiterwirtschafteten und sich dabei den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleibten, ohne dafür zu sorgen, dass der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wurde, dafür angemessen entschädigt werde, bestehe bei einer Einziehung mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters ebenso wie bei der Zwangseinziehung. Allerdings genüge es für die Feststellung der anspruchsbegründenden Treuepflichtverletzung nicht allein, dass objektiv ein ausreichendes Vermögen für die Abfindungszahlung durch die Gesellschaft vorhanden sei (wie es der Kläger behauptete) und die Gesellschaft das anders sehe bzw. aus sonstigen Gründen die Abfindung nicht zahle. Dass eine Gesellschaft nicht zahle, obwohl sie nach den §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG zahlen dürfe, bedeute noch nicht, dass die Gesellschafter sich treuwidrig verhielten. Die ausstehende Zahlung der Abfindung könne verschiedene Gründe haben. Hierbei liege das Risiko, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht freiwillig zahle, im Übrigen bei dem Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wurde. Er müsse seinen Anspruch gegen die Gesellschaft insofern mit gerichtlicher Hilfe durchsetzen. Auch eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage begründe allein keine persönliche Haftung der Gesellschafter, wenn sie die Gesellschaft auflösten und sich damit den Mehrwert nicht einverleibten, weil in einer möglichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft das Risiko liege, das der Gesellschafter generell und erst recht mit einer vereinbarten Stundung der Abfindungszahlung eingegangen sei. Schließlich entstehe auch nicht zwingend eine Haftung, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Gesellschaft insolvenzreif werde, so dass gemäß § 15a InsO eine Antragspflicht bestehe (Strohn in: MünchKomm GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 77), und die Antragstellung nicht zugleich treuwidrig verzögert würde. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führe zur Auflösung der Gesellschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG); aus diesem Grund scheide eine haftungsbegründende treuwidrige Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter aus.
C. Kontext der Entscheidung
Zahlreiche Einzelfragen zur Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen sowie zur Abfindung ausscheidender Gesellschafter sind umstritten. Hinzu kommt die Situation, dass sich der ausscheidende Gesellschafter auf der einen Seite und die verbleibenden Gesellschafter und die Gesellschaft auf der anderen Seite – auch im Falle einer zunächst einvernehmlichen Einziehungs- bzw. Austrittsentscheidung – spätestens im Hinblick auf die Abfindung mit gegensätzlichen Interessen gegenüberstehen. Dies führt zu einer ausgeprägten Rechtsprechungslandschaft. Aus dem vergangenen Jahr seien hier neben den bereits zitierten Urteilen nur beispielhaft die Entscheidung des OLG Dresden vom 28.10.2015 (13 U 788/15), die sich mit der Frage der Teilbarkeit und Abtretung nach wirksamer Einziehung eines Geschäftsanteils auseinandersetzte, sowie die Entscheidung des LG Aachen vom 26.05.2015 (41 O 41/14), die sich – wie im vorliegenden Fall – mit der anteiligen Haftung der Gesellschafter für die Abfindung bei einem Einziehungsbeschluss befasste, erwähnt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht insbesondere zwei Dinge im Hinblick auf die Auseinandersetzung über die Abfindung ausscheidender Gesellschafter.
Zum einen wird die Bedeutung der Treuepflichtverletzung der Mitgesellschafter für deren Sekundärhaftung herausgestellt. Nicht allein das „Nicht-zahlen-Können“ der Gesellschaft reicht, um eine entsprechende Haftung der Gesellschafter zu begründen. Vielmehr bedarf es nach Ansicht des BGH für die Entstehung des Anspruchs einer diesbezüglichen Treuepflichtverletzung der Gesellschafter. Der Ausscheidende ist insoweit gefordert, primär die Zahlung durch die Gesellschaft durchzusetzen und wenn dies scheitert, darzulegen und zu beweisen, dass die Gesellschafter treuwidrig gehandelt haben. Gerade bei zeitlich gestreckten Abfindungszahlungen trägt er so wesentlich das wirtschaftliche Risiko der Zahlungsfähigkeit (und Zahlungswilligkeit) der Gesellschaft. Die Maßgeblichkeit dieser (ergänzenden) Treuepflichtkomponente erfährt jedoch bereits Kritik aus der Literatur (Priester, EWiR 2016, 393).
Zum anderen wird mit dieser Entscheidung die Bedeutung von Individualabreden im Kontext der Einziehung noch einmal höchstrichterlich verdeutlicht. Die Streitigkeiten um Abfindungen bei Ausscheiden eines Gesellschafters sind in besonderem Maße vom konkreten Sachverhalt geprägt. Sowohl für die verbleibenden als auch für den ausscheidenden Gesellschafter haben deshalb Individualabreden eine herausragende Bedeutung. Die Gesellschafter haben unter anderem zu den im Urteil genannten Aspekten des Wirksamkeitszeitpunkts der Einziehung, des Fälligkeitszeitpunkts der Abfindung oder der Sekundärhaftung der Gesellschafter für den Abfindungsanspruch Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen sie von den in richterlicher Rechtsfortbildung festgelegten Maßstäben abweichen können. Gerade der letztgenannte Punkt der vertraglichen Ausgestaltung bzw. Einschränkung der subsidiären Gesellschafterhaftung ist in der Reihe der vom BGH ausdrücklich genannten Fälle aufgrund der sich hieraus ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten hervorzuheben. Wegen der großen Flexibilität ist allerdings auch besondere Vorsicht bei Abreden geboten, unabhängig davon, ob sie bereits in der Satzung niedergelegt, als ausdrücklicher Gesellschafterbeschluss gefasst oder durch in Bezug genommene Nebenvereinbarung (wie im vorliegenden Fall) vereinbart werden.