Nachfolgend ein Beitrag vom 30.1.2017 von Grube, jurisPR-SteuerR 5/2017 Anm. 5
Leitsätze
1. Zwischen Schwestergesellschaften besteht auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
2. Die Organschaft entfällt spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft.
3. Der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes stehen einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat.
A. Problemstellung
Der BFH musste sich zum wiederholten Mal mit den Rechtsfragen befassen, ob unter Schwestergesellschaften eine Organschaft denkbar ist und ob – und ggf. zu welchem Zeitpunkt – eine etwaige Organschaft bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt entfällt. Zudem hatte der BFH zu klären, ob ein Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ggf. der Anmeldung einer USt-Forderung zur Insolvenztabelle die Grundsätze von Treu und Glauben sowie Vertrauensschutz entgegenhalten kann, wenn alle Beteiligten zunächst zu Unrecht vom Vorliegen einer Organschaft ausgegangen sind.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen Ende Juni 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Bereits im April 2009 war der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO bestellt worden. Gesellschafter der GmbH waren neun natürliche Personen und eine GbR, die zugleich auch alleinige Gesellschafter einer KG waren. Die KG hatte Vermögensgegenstände an die GmbH für deren unternehmerische Tätigkeit verpachtet. Bis zum Jahresende 2008 gingen die GmbH, die KG und das Finanzamt davon aus, dass die KG gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organträger ihrer Schwestergesellschaft, der GmbH, als Organgesellschaft war. Im Zusammenhang mit der Abgabe der USt-Voranmeldung für März 2009 im Mai 2009 machte die KG geltend, dass es für eine Organschaft an der organisatorischen Eingliederung fehle. Das Finanzamt meldete für 2009 Umsatzsteuerforderungen zur Insolvenztabelle an. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. In seinem Feststellungsbescheid vom Oktober 2013 hielt das Finanzamt an der Forderungsanmeldung fest. Einspruch und Klage hatten im Wesentlichen keinen Erfolg (FG Hannover, Urt. v. 30.10.2014 – 16 K 5/14). Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das Finanzgericht eine an der GmbH und zugleich auch an der KG beteiligte Gesellschafterin auf Antrag nach § 60 Abs. 1 FGO beigeladen.
Die vom Kläger und der Beigeladenen eingelegten Revisionen wies der BFH als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus:
I. Der Senat habe bereits entschieden, dass zwischen Schwestergesellschaften keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestehe (BFH, Urt. v. 22.04.2010 – V R 9/09 – BStBl II 2011, 597, unter II.3.). Der Senat halte an dieser Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung aller Vorgaben des Unionsrechts und der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung fest (BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 15/14 – BFHE 252, 158 = BFH/NV 2016, 506 m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 33/2016 Anm. 5).
II. Unabhängig von der Frage einer finanziellen Eingliederung und dem Streit, ob zwischen der GmbH und KG überhaupt in der Vergangenheit eine organisatorische Eingliederung bestanden habe, sei die Organschaft, selbst wenn sie entgegen der BFH-Rechtsprechung zu einem früheren Zeitpunkt bestanden hätte, spätestens mit der Bestellung des Klägers zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die GmbH als (angebliche) Organgesellschaft entfallen (vgl. BFH, Urt. v. 08.08.2013 – V R 18/13 – BFHE 242, 433 = BFH/NV 2013, 1747, Leitsatz 1; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 48/2013 Anm. 6; Roth, jurisPR-InsR 11/2014 Anm. 3). Der erkennende Senat halte auch an dieser Rechtsprechung unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben fest.
III. Der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes stünden einer Forderungsanmeldung von USt im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen worden sei, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt habe.
Die Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben sowie von Vertrauensschutz seien nur unter Berücksichtigung der „Maßnahmen, Handlung[en] oder Dispositionen des Steuerpflichtigen“ von Bedeutung (vgl. nur BFH, Urt. v. 30.10.2014 – IV R 61/11 – BStBl II 2015, 478, unter II.3.d). Insoweit sei im Streitfall zu berücksichtigen, dass das Finanzamt die USt, die für Rechnung der KG als vermeintliche Organträgerin an das Finanzamt gezahlt worden sei, an die KG erstattet habe, und dass der Kläger auf der Grundlage der zwischen der GmbH und der KG bestehenden Verträge von der KG erfolgreich die Auszahlung der vom Finanzamt an die KG erstatteten USt in die Insolvenzmasse erreicht habe, wie sich aus der Rechtsprechung des BGH ergebe (BGH, Urt. v. 15.10.2014 – XII ZR 111/12 – GmbHR 2015, 200). Der erkennende Senat könne den zwischen dem Kläger und der KG bestehenden Rechtsstreit aufgrund der Bezugnahme des Finanzgerichts auf die Einspruchsentscheidung und das abschließende Urteil in diesem Rechtsstreit durch den BGH als gerichtsbekannt berücksichtigen. Habe mithin das Finanzamt USt an die KG als vermeintlichen Organträger der GmbH erstattet und die GmbH von der KG die Auszahlung dieser Umsatzsteuer erlangt, so sei das Finanzamt durch Treu und Glauben nicht gehindert, diese Umsatzsteuer gegen die GmbH als Steuerschuldner im Insolvenzverfahren der GmbH geltend zu machen.
Auch Vertrauensschutzgesichtspunkte könnten bei dieser Sachlage im Hinblick auf die rechtsfehlerhafte Bejahung einer Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG durch die an der Organschaft Beteiligten nicht geltend gemacht werden und stünden daher einer Korrektur dieser Fehlbeurteilung für die Vergangenheit nicht entgegen.
IV. Ohne dass der Senat über die Voraussetzungen des § 176 AO abschließend zu entscheiden habe, komme eine direkte oder analoge Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht, da nicht nur das Finanzamt, sondern auch die Parteien des beim BGH geführten Rechtsstreits von einem Fehlen der organisatorischen Eingliederung ausgegangen seien. Die Rechtsprechungsänderung des BFH zur finanziellen Eingliederung könne daher keine kausale Grundlage für den geltend gemachten Vertrauensschutz sein, so dass es auf die Frage einer Schutzbedürftigkeit, die ohnehin zu verneinen ist, nicht ankomme.
V. Dass in einem Verwaltungsverfahren, wie die Beigeladene geltend mache, nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden sei, begründe für das finanzgerichtliche Verfahren keinen Verfahrensfehler, der in einem Revisionsverfahren beachtlich sein könnte. Nicht zu entscheiden sei daher, ob die Beigeladene überhaupt geltend machen könne, dass einer anderen Person, dem Kläger, kein rechtliches Gehör gewährt worden sei.
C. Kontext der Entscheidung
I. Mit dem Besprechungsurteil bestätigt der BFH zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach zwischen Schwestergesellschaften keine Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in Betracht kommt (BFH, Urt. v. 22.04.2010 – V R 9/09 – BStBl II 2011, 597). Auch im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen „Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt“ (EuGH, Urt. v. 16.07.2015 – C-108/14 und C-109/14 – MwStR 2015, 583 = UR 2015, 671 m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 43/2015 Anm. 6) sieht der BFH keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzurücken (BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 15/14 – BFHE 252, 158 = BFH/NV 2016, 506 m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 33/2016 Anm. 5). Der BFH hatte im Nachgang zu diesen neueren EuGH-Entscheidungen aber seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Personengesellschaften als Organgesellschaften einem Organkreis angehören können (BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 25/13 – BFHE 251, 534 = BFH/NV 2016, 500; BFH, Urt. v. 19.01.2016 – XI R 38/12 – BFHE 252, 516 = BFH/NV 2016, 706 m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 24/2016 Anm. 6). Die Finanzverwaltung prüft derzeit die sich aus dieser Rechtsprechungsänderung ergebenden Rechtsfolgen auf Bund-Länder-Ebene, so dass diese Rechtsprechung zur Zeit grundsätzlich nicht über die entschiedenen Einzelfälle hinaus anwendbar ist; wenn einzelne Steuerpflichtige aber die in den BFH-Urteilen genannten Voraussetzungen zur Annahme einer Organgesellschaft erfüllen und die jeweiligen USt-Festsetzungen noch änderbar sind, können sie sich übergangsweise auf die einschlägige Rechtsprechung berufen, wobei ein Berufungsrecht nur einheitlich von dem jeweiligen Organträger und der Organgesellschaft ausgeübt werden kann.
II. Außerdem hält der BFH im Besprechungsurteil an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass eine etwaige Organschaft spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO ihr Ende gefunden hat (BFH, Urt. v. 08.08.2013 – V R 18/13 – BFHE 242, 433 = BFH/NV 2013, 1747). Dies beruht auf der Überlegung, dass der insoweit ermächtigte vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners verhindern kann. Damit kann auch der Organträger den ihm zustehenden Anspruch gegen die Organgesellschaft auf Zahlung der USt, die durch die wirtschaftliche Tätigkeit der Organgesellschaft versursacht wurde, nicht mehr durchsetzen, was der Annahme einer umsatzsteuerlichen Organschaft entgegensteht (BFH, Urt. v. 08.08.2013 – V R 18/13 – BFHE 242, 433 = BFH/NV 2013, 1747 Rn. 31, 34). Der BFH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung ferner zum Erfordernis einer (zweifachen) Berichtigung der USt bei und nach der Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters Stellung genommen (BFH, Urt. v. 01.03.2016 – XI R 21/14 – BStBl II 2016, 756; BFH, Urt. v. 01.03.2016 – XI R 9/15 – BFH/NV 2016, 1310 = MwStR 2016, 724). Er hat zudem nochmals bestätigt, dass die Rechtsprechung, wonach das Entgelt für eine Leistung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers uneinbringlich wird, weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen die unionsrechtliche Regelung in Art. 90 MwStSystRL verstößt (BFH, Beschl. v. 06.09.2016 – V B 52/16 – BFH/NV 2017, 67).
III. Schließlich konnte sich der Insolvenzverwalter der GmbH nach den Rechtsgrundsätzen des Besprechungsurteils nicht gegen die vom Finanzamt vorgenommene Anmeldung einer USt-Forderung i.S.v. § 38 InsO mit dem Hinweis auf Treu und Glauben bzw. Vertrauensschutz wehren. Zwar waren alle Beteiligten zunächst vom Bestehen einer Organschaft ausgegangen, so dass die KG zu Unrecht die USt als „Organträgerin“ an das Finanzamt abgeführt hatte. Aber der BFH hat aufgrund eines zuvor beim BGH beendeten Rechtsstreits erfahren, dass der Insolvenzverwalter der GmbH von der KG die Auszahlung der vom Finanzamt zwischenzeitlich erstatteten USt in die Insolvenzmasse erreicht hatte (BGH, Urt. v. 15.10.2014 – XII ZR 111/12). Da die in Rede stehende USt tatsächlich vereinnahmt war, musste der Insolvenzverwalter der GmbH eine entsprechende Anmeldung der USt-Forderung zur Insolvenztabelle seitens des Finanzamts nun auch hinnehmen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis bedeutsam sind die ausdrücklichen Bestätigungen der bisherigen BFH-Rechtsprechung zum Ausschluss der Organschaft zwischen Schwestergesellschaften und zur Beendigung einer etwaigen Organschaft mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Die Aussagen zur Inanspruchnahme von etwaigem Vertrauensschutz oder von Treu und Glauben sind notwendigerweise einzelfallbezogen zu treffen und hatten im Besprechungsfall im Hinblick auf ein erfolgreich beendetes Verfahren beim BGH keinen Erfolg. Für zukünftige Verfahren könnten auch die Erwägungen des EuGH in der Rechtssache „Degano Trasporti“ von Bedeutung sein, in der er geklärt hat, dass ein vor der Insolvenzeröffnung geführtes „Vergleichsverfahren“ mit nur anteiliger Befriedigung von MwSt-Forderungen grundsätzlich unionsrechtskonform ist (EuGH, Urt. v. 07.04.2016 – C-546/14 – UR 2016, 448 = MwStR 2016, 379 m. Anm. Grube „Degano Transporti Sas die Ferruccio Degano & C.“). Ferner ist auf das beim BFH noch anhängige Revisionsverfahren XI R 5/16 hinzuweisen, in dem es – wie so häufig – um die Rechtsfrage geht, ob eine USt-Schuld als Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO oder als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO zu qualifizieren ist (Vorinstanz: FG Leipzig, Urt. v. 16.03.2016 – 2 K 268/15).