Nachfolgend ein Beitrag vom 01.08.2016 von Wozniak, jurisPR-InsR 14/2016 Anm. 1

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die Vereinnahmung von Zahlungen auf ein debitorisch geführtes Konto der Schuldnerin, für das eine Globalzession der kontoführenden Bank besteht, stellt keine gem. § 64 Satz 1 GmbHG verbotene Zahlung dar, sofern der Anspruch der Bank aus der Globalzession vor Eintritt der Insolvenzreife entstanden ist bzw. werthaltig gemacht worden ist.

A. Problemstellung

Fragen rund um § 64 GmbHG beschäftigen die Gerichte in den letzten Jahren vermehrt. Dies mag aus der für Insolvenzverwalter strenger werdenden Rechtsprechung des IX. Zivilsenats und der teilweise unkalkulierbaren Judikatur der Untergerichte im Insolvenzanfechtungsrecht resultieren. Die teilweise problematischen Nachweise auf subjektiver Ebene im Anfechtungsrecht lassen sich bei einem Vorgehen des Verwalters auf der Basis des § 64 GmbHG umschiffen, so dass die Norm zuletzt vermehrt von Verwalterseite zur Massegenerierung genutzt wurde. Auch können auf Basis von § 64 GmbHG teilweise Ansprüche realisiert werden, die nicht der Anfechtung unterliegen. Die Spruchpraxis des II. Zivilsenats des BGH grenzt nun die Rückgriffsmöglichkeiten für Verwalter partiell ein. Die Spruchpraxis ist – gerade bezogen auf die Judikatur zum Insolvenzanfechtungsrecht, hier v.a. § 129 InsO – jedoch dogmatisch überzeugend und folgerichtig.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte war Geschäftsführer der S.-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen am 04.01.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Klägerin ist die Insolvenzverwalterin und hat mit der Klage Ersatz für Zahlungseingänge nach Insolvenzreife auf dem debitorisch geführten Konto der Schuldnerin bei der Sparkasse D. eG zwischen dem 14.05.2009 und dem 23.09.2009 in Höhe von insgesamt 30.000 Euro verlangt. Zugunsten der Sparkasse D. eG bestand eine Globalzession.
Die Klage hatte vor dem Landgericht Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten durch Beschluss zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Beklagten. Die Revision hatte Erfolg, der BGH verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, die von dem Geschäftsführer der insolventen GmbH veranlassten oder zugelassenen Zahlungen von Gesellschaftsschuldnern auf ein debitorisches Bankkonto seien grundsätzlich ihm zuzurechnende, gemäß § 64 Satz 1 GmbHG verbotene Zahlungen, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zulasten ihrer Gläubigergesamtheit und zum Vorteil der Bank geschmälert werde. Die Globalzession ändere hieran nichts. Die Schuldnerin sei gleichwohl berechtigt gewesen, die abgetretenen Forderungen einzuziehen. Hätte sie diese Ansprüche auf ein anderes Konto eingezogen, wäre dies gegenüber der Sparkasse D. wirksam und diese auf Ansprüche gegen die Insolvenzschuldnerin aus § 816 Abs. 2 BGB verwiesen gewesen.
Der BGH ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Die auf dem Konto eingegangenen Zahlungen seien aufgrund der Globalzession nicht ohne weiteres als Zahlungen i.S.v. § 64 Satz 1 GmbHG zu werten.
Im Ausgangspunkt stellt auch der BGH erneut fest, dass der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen GmbH auf ein debitorisches Konto grundsätzlich eine masseschmälernde Zahlung i.S.v. § 64 Satz 1 GmbHG sei, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zugunsten der Bank geschmälert werde (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 – BGHZ 206, 52, m.w.N.).
Liege jedoch eine Globalzession vor, könne dies die Annahme masseschmälernder Zahlungen ausschließen. So stelle der Einzug von Forderungen, die an die Bank zur Sicherheit abgetreten waren, auf einem debitorischen Konto der GmbH und die anschließende Verrechnung mit dem Sollsaldo keine vom Geschäftsführer einer GmbH veranlasste masseschmälernde Zahlung i.S.v. § 64 Satz 1 GmbHG dar, wenn vor Insolvenzreife die Sicherungsabtretung vereinbart und die Forderung der Gesellschaft entstanden und werthaltig geworden ist. Der Geschäftsführer müsse in solchen Fällen die sicherungsabgetretene Forderung ungeachtet der bestehenden Einziehungsermächtigung nicht durch Einziehung auf ein neu eröffnetes, kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank der Einziehung und Verrechnung auf dem debitorischen Konto entziehen, da eine solche Umleitung der Zahlungen auf ein anderes Konto nicht einem ordentlichen Geschäftsgebaren entspräche (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 Rn. 16 ff.; BGH, Urt. v. 08.12.2015 – II ZR 68/14 – ZIP 2016, 364 Rn. 16; BGH, Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13).
Da die eingezogene Forderung infolge der Sicherungsabtretung nicht mehr als freie Masse den Gläubigern zur gleichmäßigen Befriedigung zur Verfügung gestanden habe, verlange auch der Zweck des Zahlungsverbots, die vorhandene Masse zu sichern, nicht, die Zahlung einzubehalten. Die Masse würde durch den Einzug von sicherungsabgetretenen Forderungen ohne Weiterleitung nicht nur erhalten, sondern vergrößert (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 Rn. 18; BGH, Urt. v. 08.12.2015 – II ZR 68/14 Rn. 16; BGH, Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13).
Sei allerdings die vor Insolvenzreife zur Sicherheit abgetretene zukünftige Forderung erst nach Eintritt der Insolvenzreife entstanden oder sei sie zwar vor Eintritt der Insolvenzreife entstanden, aber erst danach werthaltig geworden, und der Geschäftsführer hätte die Entstehung der Forderung oder deren Werthaltigwerden verhindern können, liege eine masseschmälernde Leistung durch die der Bank zugutekommende Zahlung grundsätzlich vor.
Der Geschäftsführer könne zwar nicht verhindern, dass der Zessionar die ihm zur Sicherheit abgetretene Forderung nach Insolvenzreife verwerte. Er dürfe aber nicht bewirken, dass der Zessionar zulasten der Masse nach Insolvenzreife noch eine werthaltige Forderung erwirbt, § 64 Satz 1 GmbHG (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 Rn. 19; BGH, Urt. v. 08.12.2015 – II ZR 68/14 Rn. 17; BGH, Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13).
Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung sei der Verfügungstatbestand mit dem Zustandekommen des Abtretungsvertrages abgeschlossen. Der Rechtsübergang auf den Gläubiger vollziehe sich jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung. Wenn die Abtretung bereits vor der Insolvenzreife für künftige Forderungen vereinbart wurde, könne gleichwohl eine Masseschmälerung eintreten, deren Ursache nicht in der Abtretungsvereinbarung, sondern darin liege, dass die sicherungsabgetretene Forderung nicht mehr zugunsten des Vermögens der GmbH, sondern zugunsten des Zessionars entstehe. Wenn der Geschäftsführer die Zession etwa durch die Kündigung des Kontokorrentvertrages oder das Entstehen der Forderung nach Eintritt der Insolvenzreife verhindern könne, liege daher im Ergebnis eine von ihm veranlasste Leistung an die Bank vor, wenn die Forderung nach der vor Insolvenzreife vereinbarten Sicherungsabtretung an die Bank entstehe und von ihr verwertet werde. Das betrifft vor allem Verträge, die die Schuldnerin nach Eintritt der Insolvenzreife eingeht und bei denen der Anspruch auf die Gegenleistung für eine Leistung der Schuldnerin aufgrund der Sicherungsabtretung der Bank zusteht (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 Rn. 22, m.w.N.; BGH, Urt. v. 08.12.2015 – II ZR 68/14 Rn. 18; BGH, Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13).
Das Gleiche gelte, wenn der Anspruch auf die Gegenleistung rechtlich zwar bereits entstanden ist, zulasten des Vermögens der Schuldnerin aber erst nach Eintritt der Insolvenzreife werthaltig gemacht werde, etwa indem die Schuldnerin die von ihr vertraglich zugesagte Leistung erbringt. Die Masseschmälerung liege in diesen Fällen darin, dass die abgetretene Forderung zugunsten des Gläubigers werthaltig gemacht worden sei. Die Wertschöpfung geschehe dann zulasten der Gläubigergesamtheit bzw. der Masse und zugunsten des gesicherten Gläubigers (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 Rn. 23; BGH, Urt. v. 08.12.2015 – II ZR 68/14 – ZIP 2016, 364 Rn. 17; BGH, Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13).
Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif sei (§ 563 Abs. 3 ZPO), erfolge eine Zurückverweisung.

C. Kontext der Entscheidung

§ 64 GmbHG hat in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Die obergerichtlichen Entscheidungen bestätigen den merklichen Trend der Insolvenzrechtspraxis, auf insolvenzgesellschaftsrechtliche Anspruchsgrundlagen auszuweichen, wenn das Insolvenzanfechtungsrecht nicht greift bzw. in der gerichtlichen Durchsetzung schwieriger ist. Die bis heute nicht abschließend beantwortete Frage, wie sich Anfechtungsansprüche dogmatisch zu Ansprüchen gem. § 64 GmbHG verhalten, brauchte der BGH zwar nicht zu entscheiden. Gleichwohl zieht er ein weiteres Mal eine Parallele zwischen Insolvenzgesellschaftsrecht und Anfechtungsrecht und überformt damit § 64 GmbHG „anfechtungsrechtlich“.
Der Ausgangspunkt ist relativ klar: Das Zulassen von Zahlungseingängen auf einem debitorisch geführten Konto nach Eintritt der Krise ist normalerweise „nicht mit der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns“ (so der Wortlaut der Norm, den der BGH in seiner Entscheidung recht weit außen vor lässt) vereinbar, wenn eine Globalzession für die betreffenden Forderungen besteht. Hintergrund ist der Umstand, dass dann eine Verrechnung stattfinden kann, die (von engen Grenzen abgesehen, etwa § 96 Abs. 1 Satz 3 InsO) einen Zugriff des Insolvenzverwalters deutlich erschwert.
Der BGH wählt in der Entscheidung jedoch zunächst einen anderen Ansatzpunkt und stellt darauf ab, ob die sicherungszedierten Forderungen überhaupt noch Teil der „Soll-Masse“ (also der Masse, die der Verwalter zurückholen muss) sind. Sei die Globalzession vor Eintritt der Krise wirksam entstanden und werthaltig geworden, fehle es an einem masseschmälernden Verhalten des Geschäftsführers, sei also die Forderung selbst nicht mehr Massebestandteil und damit ein Eingang auf einem verrechnungsbedrohten debitorischen Konto keine Minderung der Masse. Diese Argumentation ist aus dem Anfechtungsrecht, insbesondere der Judikatur zu § 129 InsO bestens bekannt.
Mit einem weiteren Kniff löst sich der BGH dann jedoch argumentativ wieder ein Stück weit von dieser sehr geschäftsführerfreundlichen Argumentation und stellt schließlich darauf ab, dass das Unterlassen bestimmter Handlungen die Haftung nach § 64 GmbHG wieder auslöse. So nennt der BGH das Unterlassen der Kündigung des Kontokorrentvertrages oder das Entstehenlassen der Forderung nach Eintritt der Insolvenzreife als tatbestandliche Anknüpfungspunkte.
Dass solche Unterlassungen begrifflich noch als „geleistete Zahlungen“ i.S.v. § 64 GmbHG zu verstehen sind, erschließt sich nur in der Zusammenschau mit dem Insolvenzanfechtungsrecht, ist dann aber auch aus Praktikersicht nachvollziehbar und sachgerecht. Sie ermöglicht den Gleichklang der Rückgriffsnormen und verhindert ein allzu eklatantes Auseinanderklaffen von Anfechtungs- und Haftungsnormen in der Insolvenz der GmbH.

D. Auswirkungen für die Praxis

Aus Sicht des klagenden Insolvenzverwalters erhöht die Entscheidung den Dokumentations- und Prüfungsaufwand insofern, als eine Abgrenzung der Entstehung/des Werthaltigwerdens vor und nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erforderlich wird. Insofern stellt die Entscheidung einen Gleichklang mit dem Insolvenzanfechtungsrecht her, in dem gleichgelagerte Fragestellungen im Rahmen der Gläubigerbenachteiligung gem. § 129 InsO zu prüfen sind.
Als Vertreter des beklagten Geschäftsführers eröffnet sich über den engen Wortlaut des § 64 GmbHG hinaus mit der Entscheidung eine argumentative Möglichkeit, den Forderungen des Insolvenzverwalters wirksam entgegenzutreten. Gleichwohl dürfte es sich um kein „Allheilmittel“ handeln, da regelmäßig in den letzten Monaten vor Antragstellung die Zahlungsunfähigkeit schon vorlag und insofern weiterhin eine Haftung wegen Entstehung bzw. des „Werthaltigwerdenlassens“ der Globalzession in Betracht kommt.