Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2016 von Harbeck, jurisPR-InsR 7/2016 Anm. 3

Orientierungssatz zur Anmerkung

Zur Frage des Umfangs der Ermittlungspflicht des Insolvenzgerichts gem. § 5 Abs. 1 InsO.

A. Problemstellung

Das LG Kassel hatte im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung gegen die Abweisung eines Fremdantrages auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Frage zu beantworten, welche Anforderungen an die Ermittlungen zu der Frage des Vorliegens eines Insolvenzgrundes i.S.d. §§ 17 ff. InsO zu stellen sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beschwerdeführerin stellte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Schuldners, einer juristischen Person. Zu Begründung trägt sie vor, dass ihr gegen den Schuldner eine Forderung wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge zustehe und dass eine bereits vormals eingeleitete Zwangsvollstreckung erfolglos geblieben sei.
Das Insolvenzgericht setzte sodann einen Sachverständigen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Ermittlung des Sachverhalts ein. Dieser kam zunächst zu dem Ergebnis, dass der Schuldner über keinen verantwortlichen Geschäftsführer mehr verfüge. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der vormalige Geschäftsführer sein Amt niederlegte, lagen jedoch auch keine Anhaltspunkte für offene Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber Dritten vor. Ferner war ein zeitlich früherer gegen den Schuldner gerichteter Fremdantrag seitens des Antragstellers mit der Begründung zurückgenommen worden, die Forderung sei aufgrund neuer Erkenntnisse „entfallen“.
Wesentlich für die Beantwortung der aktuellen Frage nach einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung des Schuldners sind jedoch die Ermittlungen hinsichtlich weiterer offener Verbindlichkeiten. Solche konnte der Sachverständige nicht ermitteln.
Infolge der Feststellungen des Gutachtens kam das Insolvenzgericht zu dem Ergebnis, dass erfolgversprechende Ansätze zur Ermittlung einer (vermeintlich) bestehenden Zahlungsunfähigkeit nicht vorlägen, insbesondere sei der Aufenthaltsort des vormaligen Geschäftsführers/Gesellschafters, der ggf. weitere Auskünfte geben könne, nach Rücksprache mit den Strafermittlungsbehörden nicht zu ermitteln. Auf Grundlage dieser Auskunft wurde ebenfalls von der Einsetzung eines Prozess- oder Verfahrenspflegers abgesehen, da diesem nach Auffassung des Gerichts auch keine weiteren Ermittlungsmethoden zur Verfügung stünden. Nach alledem sah das Insolvenzgericht keine Anhaltspunkte für einen Insolvenzeröffnungsgrund i.S.d. §§ 17 bis 19 InsO.
Ferner stellte das Gericht fest, dass auch eine Abweisung des Insolvenzantrages mangels Insolvenzmasse ausscheide, da völlig offen sei, ob das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen werde, um (wenigstens) die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken.

C. Kontext der Entscheidung

§ 5 Abs. 1 InsO sieht vor, dass das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln hat, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck kann es insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen.
Die Art und der Umfang der Ermittlungen, die das Insolvenzgericht führt, stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts (vgl. BGH KTS 1957, 12, 13; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2012, § 5 Rn. 8; Uhlenbruck/Pape, InsO, 14. Aufl. 2015, § 5 Rn. 4). Das Insolvenzgericht kann dabei, ohne an Anträge gebunden zu sein, die Ermittlungen so führen, wie es sie für erforderlich und angemessen hält. Nach herrschender Meinung sind im Falle des Bestreitens des Insolvenzgrundes durch den Insolvenzschuldner die Ermittlungen dabei besonders sorgfältig zu führen (Ganter/Lohmann in: MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2013, § 5 Rn. 21).
Um das Verfahren zunächst so einfach und wirtschaftlich wie möglich zu halten, sollte sich der Insolvenzrichter zunächst die erforderliche Überzeugung davon verschaffen, dass die im Falle eines Fremdantrages regelmäßig bestrittene Zahlungsunfähigkeit des vermeintlichen Insolvenzschuldners nicht vorliegt. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass er sich eine geordnete und vollständige Vermögensübersicht des Schuldners vorlegen lässt (BGH KTS 1957, 12, 13). Hintergrund dieses pragmatischen Herangehens ist zum einen der Kostenaspekt, denn je aufwändiger die Ermittlungen erführt werden, desto kostenintensiver sind diese. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass das Insolvenzgericht über keinen eigenen Ermittlungsapparat verfügt und bei den Ermittlungen immer darauf achten muss, den Anschein einer etwaigen Befangenheit bzw. Parteilichkeit zu vermeiden. In den meisten Fällen, wie auch in dem vorliegenden, wird sich das Insolvenzgericht eines externen Sachverständigen für die Ermittlungen bedienen.
Regelmäßig ist es so, dass der Schuldner selbst nicht den erforderlichen vollständigen Überblick über seine wirtschaftliche Lage hat. Insbesondere deshalb darf sich der eingesetzte Sachverständige nicht ausschließlich auf die Angaben des Schuldners verlassen, sondern muss sich einen eigenen Überblick über die wirtschaftliche Situation des Schuldners verschaffen. Zu diesem Zweck wird der Sachverständige mit Ermittlungsbefugnissen ausgestattet (Buchalik, KTS 1999, 599, 602 f.). Der Schuldner ist zur Auskunft verpflichtet (BVerfG, Beschl. v. 13.01.1981 – 1 BvR 116/77 – NJW 1981, 1431, 1432; Gottwald/Uhlenbruck, Insolvenzrechts-Handbuch, 1. Aufl., § 13 Rn. 47). Ein Auskunftsverweigerungsrecht steht dem Schuldner nicht zu (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 5 Rn. 24).
Ferner kann das Insolvenzgericht Auskünfte von Behörden sowie Gutachten von Handelskammern und anderen Standesvertretungen anfordern. Zusätzlich kann es Akteneinsicht, sowie Registerauszüge vom Registergericht erbitten (Ganter/Lohmann in: MünchKomm InsO, § 5 Rn. 84).
Ist im Rahmen dieser Ermittlungen der Geschäftsführer/Gesellschafter des Schuldners, wie in vorliegendem Fall, beispielsweise nicht erreichbar, so wird das Insolvenzgericht hierdurch nicht von seiner Amtsermittlungspflicht und einer Entscheidung über den Insolvenzantrag entbunden, sofern der Gläubiger Tatsachen zur (vermeintlichen) Zahlungsunfähigkeit vorgetragen hat (BGH, Beschl. v. 05.04.2006 – IX ZB 144/05 – NZI 2006, 405).
Hier hatte sich das Insolvenzgericht ebenfalls eines Sachverständigen bedient. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass neben den von dem Antragsteller geltend gemachten Forderungen keine weiteren offenen Verbindlichkeiten des Schuldners zu ermitteln waren. Allerdings ist zum einen zu berücksichtigen, dass es bereits vormals einen Fremdantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens seitens der Finanzbehörden wegen rückständiger Abgaben in Höhe von rund 10.000 Euro gegeben hat, der jedoch aufgrund neuer Erkenntnisse „entfallen“ sei, zum anderen, dass keine Informationen von dem vorherigen Geschäftsführer des Antragsgegners über die wirtschaftliche Situation des Antragsgegners eingeholt werden konnten. Sicherlich liegt die Amtsniederlegung dieses Geschäftsführers zum Zeitpunkt des Insolvenzantrages mehr als ein Jahr zurück. Allerdings erfolgte die Niederlegung mit sofortiger Wirkung, so dass in Frage steht, warum der vormalige Geschäftsführer ad hoc aus seinem Amt entlassen werden wollte. Hinsichtlich des vormaligen alleinigen Gesellschafters ist anzumerken, dass der Aufenthaltsort seitens des Sachverständigen trotz Rücksprache mit den Strafermittlungsbehörden nicht in Erfahrung gebracht werden konnte. Allein der Umstand des nicht ermittelbaren Aufenthaltsortes legt zumindest den Verdacht nahe, dass sich der alleinige Gesellschafter den Ermittlungen des Insolvenzgerichtes entziehen wollte. Diese Intention wird im Grunde wohl nur dann verfolgt werden, wenn das Ergebnis der Ermittlungen für den alleinigen Gesellschafter negative Folgen hätte. Diesbezüglich hätte der Sachverstände und/oder das Insolvenzgericht weitere Ermittlungen einleiten müssen.
Außerdem führt das Landgericht aus, dass „sich die Vermögensverhältnisse der Schuldner weder in der einen noch in der anderen Richtung klären“ lassen. Dies wiederum bringt zum Ausdruck, dass die Ermittlungen weder ergeben haben, dass ein Eröffnungsgrund i.S.d. §§ 16 ff. InsO vorliegt, noch dass ein solcher gerade nicht vorliegt.
Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes hat das Insolvenzgericht, wie oben dargestellt, alle Umstände zu ermitteln (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO), die das Gericht zu der Überzeugung gelangen lassen, dass ein Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt oder eben gerade nicht. Das Ergebnis der Ermittlungen kann demnach nicht sein, dass sich Vermögensverhältnisse der Schuldner weder in die eine noch in der anderen Richtung klären lassen. In diesem Fall hatte das Insolvenzgericht nicht ausreichend ermittelt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der vorliegende Beschluss sollte demnach nicht als Beispiel für Beschlüsse anderer Insolvenzgerichte dienen. Im Ergebnis sind die Ermittlungen zur Frage der Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsfähigkeit hier nämlich nicht abschließend geführt worden und der Insolvenzantrag somit lediglich mangels weiterer Ermittlungsansätze abgewiesen worden. Wenn der Schuldner tatsächlich zahlungsfähig war, erfolgte die Abweisung sicherlich zu Recht. War der Schuldner hingegen tatsächlich zahlungsunfähig und/oder überschuldet, wird nicht nur der antragstellende Gläubiger einen Forderungsausfall verzeichnen, sondern die nachmalige Insolvenzmasse wahrscheinlich auch gemindert werden. Dies benachteiligt bereits zum Zeitpunkt der abweisenden Entscheidung die nachmaligen Insolvenzgläubiger.