Nachfolgend ein Beitrag vom 20.9.2017 von Boigs, jurisPR-ArbR 38/2017 Anm. 2

Leitsatz

Der bloße Erwerb von Anteilen an einer Gesellschaft und die Ausübung von Herrschaftsmacht über diese Gesellschaft durch eine andere Gesellschaft genügen weder für die Annahme eines Übergangs von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen i.S.d. Richtlinie 2001/23/EG noch für die Annahme eines Betriebsübergangs i.S.v. § 613a BGB.

A. Problemstellung

Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB ist zwischen einem Arbeitgeberwechsel und einem Gesellschafterwechsel zu unterscheiden. § 613a BGB setzt die Regelungen der europäischen Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen in das deutsche Recht um. Die Frage, ob die Richtlinie 2001/23/EG auch den Gesellschafterwechsel erfasst, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des BAG.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte betreibt eine Rehabilitationsklinik. Mit Wirkung zum 01.01.2002 wurde die M AG Alleingesellschafterin der Beklagten. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Krankenpflegehelferin beschäftigt. Sie macht Vergütungsdifferenzen und eine Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2013 geltend. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 27.09.1994 gelten für das Arbeitsverhältnis entsprechend die Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23.02.1961 und die diesen Tarifvertrag ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung. Es kam zu Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien über die Höhe der Vergütung der Klägerin. Mit Urt. v. 12.02.2010 stellte das ArbG Essen – rechtskräftig – fest, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Entgelt nach Entgeltgruppe 7a Stufe 6 der Anlage 6 zum TVÜ-VKA zu zahlen. Die Beklagte zahlte gleichwohl eine gekürzte Vergütung.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass ein Unternehmensübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG stattgefunden habe, als nämlich die M AG zum 01.01.2002 sämtliche Geschäftsanteile an ihr übernommen habe und seitdem die Kontrolle über sie ausübe. Dementsprechend sei sie, die Beklagte, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Alemo-Herron“ (Urt. v. 18.07.2013 – C-426/11) nicht an die dynamische Verweisung in § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 27.09.1994 gebunden. Als privatrechtlich organisiertes Unternehmen habe sie keine Möglichkeit, (z.B. durch Beitritt in den tarifschließenden Arbeitgeberverband) Einfluss auf das Tarifwerk für den öffentlichen Dienst zu nehmen, so dass eine dynamische Bindung an den TVÜ-VKA und den TVöD mit Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) unvereinbar sei.
Wie die Instanzgerichte zuvor hat auch das BAG der Klägerin die geltend gemachten Vergütungsdifferenzen und die Jahressonderzahlung auf der Grundlage der das BAT-Vergütungssystem ersetzenden Tarifverträge TVÜ-VKA/TVöD zugesprochen.
Das BAG ist der Argumentation der Beklagten nicht gefolgt. Es hat festgestellt, dass der vorliegende Sachverhalt gar nicht unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23/EG und des Art. 16 GRC falle. Deshalb komme es hier weder auf das Urteil in der Rechtssache „Alemo-Herron“ noch auf Art. 16 GRC an. Es handele sich nämlich nicht um einen Übergang (einer wirtschaftlichen Einheit) i.S.d. Richtlinie 2001/23/EG. Die Richtlinie sei nur in den Fällen anwendbar, in denen die für den Betrieb der wirtschaftlichen Einheit verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingehe, wechsele. Ein „Übergang“ i.S.d. Richtlinie 2001/23/EG erfordere eine Übernahme des Betriebs durch einen „neuen“ Arbeitgeber – d.h. einen Arbeitgeberwechsel. Dies gelte auch für das Verständnis der anzuwendenden Bestimmungen des nationalen Rechts, hier: § 613a BGB. Vorliegend sei gerade keine Übernahme durch einen „neuen“ Arbeitgeber, sondern ein Gesellschafterwechsel erfolgt. Denn die Umstände, dass die M AG sämtliche Geschäftsanteile an der Beklagten übernommen habe und seitdem die tatsächliche Kontrolle, d.h. die tatsächliche Herrschaftsmacht über sie ausübe, änderten nichts daran, dass nach wie vor die Beklagte die Arbeitgeberin der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer (also auch der Klägerin) sei.

C. Kontext der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung knüpft an die bisherige Rechtsprechung des EuGH und des BAG an. Im Übrigen hat das BAG die Entscheidung der Vorinstanz (LArbG Düsseldorf, Urt. v. 27.11.2014 – 15 Sa 383/14 m. Anm. Boigs, jurisPR-ArbR 14/2015 Anm. 4) bestätigt.
I. Einschlägig ist Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG. Er bestimmt im Falle eines Betriebsübergangs die Übertragung der Arbeitsverhältnisse mit dem bisherigen Vertragsinhalt vom Veräußerer (dem alten Arbeitgeber) auf den Erwerber (den neuen Arbeitgeber). Für die betroffenen Arbeitnehmer ist also ein Arbeitgeberwechsel erforderlich (EuGH, Urt. v. 26.11.2015 – C-509/14 Rn. 28 – NZA 2016, 31 „Aira Pascual“; EuGH, Urt. v. 06.03.2014 – C-458/12 Rn. 29 – NZA 2014, 423 „Amatori“). Dieser Regelung entspricht die Vorschrift des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB (BAG, Urt. v. 23.09.2009 – 4 AZR 331/08 Rn. 32 – NZA 2010, 513). Bei einem Gesellschafterwechsel findet hingegen kein Arbeitgeberwechsel statt. Das betroffene Unternehmen erhält einen neuen Eigentümer (Gesellschafter, Anteilseigner), bleibt aber unverändert derselbe Vertragsarbeitgeber der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 14.08.2007 – 8 AZR 803/06 – NZA 2007, 1428). Dementsprechend wird der Gesellschafterwechsel vom Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG und des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht erfasst.
II. In Anbetracht dieser Rechtslage läuft die Argumentation der Beklagten ins Leere. Der vorliegende Sachverhalt fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts (hier: der Richtlinie 2001/23/EG). Hinzu kommt, dass außerhalb unionsrechtlich geregelter Fallgestaltungen die Grundrechte der GRC keine Anwendung finden (EuGH, Urt. v. 21.12.2016 – C-119/15 Rn. 24 „Biuro podrozy Partner“). Daraus folgt, dass bei der Beurteilung des Sachverhalts weder das Urteil in der Rechtssache „Alemo-Herron“ noch Art. 16 GRC weiter zu berücksichtigen waren.
III. Das Urteil in der Rechtssache „Alemo-Herron“ wird im Zusammenhang mit dem Thema „Dynamische Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang“ diskutiert (vgl. EuGH, Urt. v. 18.07.2013 – C-426/11 – NZA 2013, 835 „Alemo-Herron“; BAG, EuGH-Vorlage v. 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 (A) – NZA 2016, 373; Boigs, jurisPR-ArbR 14/2016 Anm. 3; EuGH, Urt. v. 27.04.2017 – C-680/15 – NZA 2017, 571 „Asklepios“; Klein, jurisPR-ArbR 20/2017 Anm. 1; Eylert/Reinhard, RdA 2017,140).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Rechtsprechung des BAG ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH stabil. Sie entspricht im Übrigen der einhelligen Auffassung in der Fachliteratur.

Betriebsübergang: Abgrenzung des Arbeitgeberwechsels vom Gesellschafterwechsel
Matthias FrankRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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