Nachfolgend ein Beitrag vom 19.08.2016 von Nassall, jurisPR-BGHZivilR 14/2016 Anm. 3

Leitsatz

Auf den Direktor einer private company limited by shares, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, kommt § 64 Satz 1 GmbHG zur Anwendung.

A. Problemstellung

Die Entscheidung klärt die Frage, ob § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. = § 64 Satz 1 GmbHG n.F. nur auf die deutsche GmbH oder auch auf vergleichbare ausländische Gesellschaften, die überwiegend in Deutschland tätig sind, anwendbar ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer englischen private company limited by shares (Ltd.; Schuldnerin). Die Beklagte ist Direktorin der Schuldnerin. Die Schuldnerin war überwiegend in Deutschland tätig. Deshalb ist dort auch das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Erstattung von Zahlungen, die von ihr für die Schuldnerin nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet worden sind. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Der BGH hat die dagegen gerichtete Revision zurückgewiesen:
§ 64 Satz 1 GmbHG bezwecke, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Damit werde nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger. Der damit verbundene insolvenzbezogene Zweck treffe sowohl auf die GmbH als auch auf die Ltd. zu. Bei beiden Gesellschaftsformen bestehe die Gefahr, dass der Geschäftsführer oder der Direktor nach Insolvenzreife Zahlungen zulasten der späteren Insolvenzgläubiger leiste und damit die Insolvenzmasse verkürze.

C. Kontext der Entscheidung

Der BGH hatte im vorliegenden Rechtsstreit mit Beschluss vom 02.12.2014 (II ZR 119/14 – ZinsO 2015, 92) ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt, ob die Klage eines Insolvenzverwalters gegen den Direktor einer fallierten Ltd. auf Erstattung von nach Eintritt ihrer Zahlungsunfähigkeit geleisteten Zahlungen das deutsche Insolvenzrecht i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO betreffe und ob eine solche Klage gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV verstoße. Dieses Vorabentscheidungsgesuch hat der EuGH (Urt. v. 10.12.2015 – C-594/14 – WM 2016, 272) dahin verbeschieden, eine solche Klage falle in den Anwendungsbereich des Art. 4 der EuInsVO; die Niederlassungsfreiheit stehe ihr nicht entgegen. Zur Begründung hat er hinsichtlich der ersten Vorlagefrage auf sein Urteil vom 04.12.2014 (C-295/13 – WM 2015, 841) verwiesen, in dem er bereits geklärt hatte, dass die Klage auf Erstattung von Zahlungen nach § 64 GmbHG in engem Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren stehe, weil sie zwar nicht die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetze, wohl aber die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Damit waren die Weichen für die Behandlung des Erstattungsanspruchs nach § 64 GmbHG als insolvenzrechtlich auch im Gemeinschaftsrecht gestellt. Zur Frage der Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit hat der EuGH in seiner Vorabentscheidung darauf verwiesen, die Haftungsnorm betreffe weder die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft noch knüpfe sie an die Vorschriften der Kapitalaufbringung an, die in den nationalen Rechten für die jeweiligen Gesellschaftstypen unterschiedlich ausgestaltet seien. Die Anwendung der Haftungsnorm berühre deshalb weder die Gründung einer Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedsstaat noch ihre spätere Niederlassung in einem anderen. Damit war der Weg für die nunmehr vom BGH getroffene Entscheidung frei: Die Geschäftsführerhaftung nach (nunmehr) § 64 Satz 1 GmbHG ist insolvenzrechtlicher, nicht gesellschaftsrechtlicher Natur.

D. Auswirkungen für die Praxis

Als insolvenzrechtliche Haftungsnorm bleibt der Anwendungsbereich des § 64 Satz 1 GmbHG nicht auf die deutsche GmbH beschränkt; vielmehr erfasst er alle in Deutschland tätigen Gesellschaften, die wie eine deutsche GmbH strukturiert sind, nämlich alle Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden haften, bei denen die Geschäfte von einer dafür verantwortlichen, nicht notwendig auch als Gesellschafter beteiligten Person geführt werden, und bei denen die Gefahr besteht, dass die geschäfteführende Person nach Insolvenzreife Zahlungen zulasten der späteren Insolvenzgläubiger leistet und dabei die Insolvenzmasse verkürzt.