Nachfolgend ein Beitrag vom 22.08.2016 von Hippeli, jurisPR-HaGesR 8/2016 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

Aus der gesellschafterlichen Treuepflicht heraus ergibt sich keine Verpflichtung, einem Beschluss zuzustimmen, durch den die Suche nach einem (neuen) GmbH-Geschäftsführer aufgenommen werden soll.

A. Problemstellung

Spiel’s noch einmal, Sam! Erst kürzlich entschied der BGH über die Grenzen der Treuepflicht eines Gesellschafters hinsichtlich der Zustimmung zu Beschlüssen über Standortmaßnahmen im Fall der Media-Saturn Holding GmbH (BGH, Urt. v. 12.04.2016 – II ZR 275/14 – WM 2016, 1124, mit Anm. Retzlaff, jurisPR-BGHZivilR 12/2016 Anm. 3). Der BGH betonte dabei, gestützt auf seine bis dato bestehende Rechtsprechungslinie zu Treuepflichten, dass für eine anzunehmende Treuwidrigkeit bzw. eine positive Stimmpflicht in Bezug auf Gesellschafterbeschlüsse hohe Hürden bestehen.
Wenig überraschend hat das OLG München den vorliegenden Fall offenbar erst ausjudiziert, nachdem der BGH sein Verdikt zu Treuepflichten in Sachen Media-Saturn (Vorinstanz: ebenfalls OLG München) entäußert hatte. Es galt nun also, die wieder in Erinnerung gerufenen Maßstäbe des BGH zur Reichweite gesellschafterlicher Treuepflichten zugrunde zu legen und die Zustimmung zu einem Beschluss über die Suche nach einem neuen Geschäftsführer hiermit zu verknüpfen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit eines in der gemeinsamen GmbH-Gesellschafterversammlung gefassten Beschlusses. Das Landgericht hatte im Ergebnis festgestellt, dass ein Beschluss gefasst wurde, wonach für die streitbefangene GmbH ein neuer Geschäftsführer gesucht werden sollte. Die Feststellung des Landgerichts beruhte auf der Annahme, dass alle Gesellschafter zur Zustimmung verpflichtet waren. Der tatsächlich gefasste, ablehnende Beschluss der Gesellschafterversammlung wurde in diesem Zusammenhang für nichtig erklärt. Hintergrund der so gesehenen Zustimmungspflicht aller Gesellschafter war die Abberufung des bislang einzigen Geschäftsführers. Das Amt wurde in der Folge durch ein Mitglied einer Gesellschafterfamilie rein faktisch wahrgenommen. Dennoch – so das Landgericht – habe diese Gesellschafterfamilie die Neubestellung eines realen Geschäftsführers nicht dadurch verhindern dürfen, dass sie der per Gesellschafterbeschluss eingeleiteten Suche nach einem geeigneten Kandidaten nicht zustimmte.
Das OLG München sah die Sache nun anders. Es entschied im Berufungsurteil, dass die ursprüngliche Feststellungsklage unbegründet gewesen sei. Die Mitglieder der vorgenannten Gesellschafterfamilie seien aufgrund ihrer gesellschafterlichen Treuepflicht gerade nicht verpflichtet gewesen, dem Beschlussantrag zur Suche nach einem neuen Geschäftsführer zuzustimmen.
Ein Gesellschafter sei schließlich grundsätzlich in seinem Abstimmungsverhalten frei. Diese Freiheit werde erst dann wieder beschränkt (positive Stimmpflicht/Stimmbindung), wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte der Gesellschaft oder zur Vermeidung erheblicher Verluste objektiv unabweisbar erforderlich und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist. Bloße Zweckmäßigkeitsaspekte und Interessen der Gesellschaft seien unterhalb dieser Schwelle von keiner zwingenden Relevanz für das Stimmverhalten eines Gesellschafters qua Treuepflicht.
Gemessen daran ergebe sich aus der Treuepflicht keine Verpflichtung, dem Beschluss über die Suche nach einem Geschäftsführer zuzustimmen. Auch wenn in der maßgeblichen GmbH ein Gesellschafterstreit vorherrsche und jede GmbH nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 GmbHG einen Geschäftsführer benötige, so sei das Kriterium „unabweisbar erforderlich“ nicht gegeben. Schließlich könne die Suche nach einem neuen Geschäftsführer durch die Gesellschafterfamilien auch anderweitig organisiert werden.

C. Kontext der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung stellt – wie bereits bezeichnet – eine Folgeentscheidung zum BGH-Urteil in Sachen Media-Saturn (BGH, Urt. v. 12.04.2016 – II ZR 275/14) dar. Dort allerdings war der Fall wesentlich komplexer gelagert. Eine gewisse Vergleichbarkeit schafft allerdings der Umstand, dass der vorliegende Fall (und damit die Frage der Treuwidrigkeit, wenn Beschlüssen in der Gesellschafterversammlung nicht zugestimmt wird) ebenso aus einem offenbar langwierigem Gesellschafterstreit herrührt.
Die auch vorliegend betroffene mitgliedschaftliche Treuepflicht entspringt unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag, also der dezidierten Entscheidung, mit anderen Gesellschaftern zusammenwirken zu wollen (vgl. bereits Fechner, Die Treubindungen des Aktionärs, 1942, S. 39 ff.). Typischerweise wird davon ausgegangen, dass bei der Wahrnehmung von uneigennützigen Rechten, welche zunächst nur der Gesellschaft zum Vorteil gereichen, die eigenen Interessen gegenüber dem Gesellschaftsinteresse hintanzustellen sind (BGH, Urt. v. 05.06.1975 – II ZR 23/74 – WM 1975, 1152, 1154). Schwierig ist auch und gerade im Zusammenhang mit Gesellschafterbeschlüssen allerdings stets die genaue Bestimmung des Anwendungsbereichs der mitgliedschaftlichen Treuepflicht. Im Wesentlichen existieren dabei zwei Fallgruppen: Dies sind zum einen ein durch die Treuepflicht zu praktizierender Minderheitenschutz und zum anderen ein hierdurch ausgesprochenes Schädigungsverbot zum Schutz der Gesellschaft und der Mitgesellschafter (vgl. zu den anerkannten Fallgruppen im Überblick K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1035 f.; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 105; Zwissler, Treuegebot – Treuepflicht – Treuebindung, 2002, S. 117 ff.).
Vorliegend ging es dezidiert um die Frage, ob aus Treuepflichtgesichtspunkten (dann als Schädigungsverbot) von einer positiven Stimmpflicht/Stimmbindung im Hinblick auf den Beschluss zur Geschäftsführersuche auszugehen war. Die Hürde hierfür ist kürzlich wieder angehoben worden, nachdem das OLG München sie einstweilig abgesenkt hatte (so auch Seibt, EWiR 2016, 395, 396). Ursprünglich war es so, dass eine positive Stimmpflicht/Stimmbindung nur dann in Betracht kam, wenn diese „zur Erhaltung des Geschaffenen bzw. zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen des Gesellschaftsinteresses unabweisbar notwendig und den Gesellschaftern bei Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zuzumuten“ war (vgl. BGH, Urt. v. 25.09.1986 – II ZR 262/85 – NJW 1987, 189, 190). Das OLG München hatte 2014 dann in Sachen Metro-Saturn entschieden, dass „eine Wahrnehmung der Rechte (der Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung) treuwidrig (ist), soweit sie nicht geeignet oder nicht erforderlich ist, die berechtigten eigenen Interessen des Gesellschafters zu wahren, vor allem, soweit dafür ein milderes Mittel genügt“ (OLG München, Urt. v. 14.08.2014 – 23 U 4744/13 – NZG 2015, 66, 67). Dem stemmte sich 2016 der BGH (Urt. v. 12.04.2016 – II ZR 275/14) entgegen und äußerte sich exakt so wie nun vorliegend vom OLG München übernommen (Kriterium: „unabweisbar erforderlich“), wodurch alles wieder auf Anfang steht.
In der Folge hat das OLG München den Fall der Suche nach einem neuen Geschäftsführer zutreffend subsumiert. Dies ist eben für die Gesellschaft zwar wichtig, da jede GmbH ausweislich § 6 Abs. 1 GmbHG mindestens einen Geschäftsführer haben muss, diese Suche ist allerdings nicht „unabweisbar erforderlich“. Dafür spricht alleine schon, dass – unabhängig von der Existenz eines zumindest faktischen Geschäftsführers – bei rein rechtlichem Fehlen eines Geschäftsführers in dringenden Fällen auch die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers entsprechend § 29 BGB in Betracht kommt (Wicke in: Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 6 Rn. 15; Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 6 Rn. 49).
Vorliegend stellte sich zudem eine Zuständigkeitsfrage: Wer darf/muss einen neuen Geschäftsführer für die GmbH suchen, wenn der alte Alleingeschäftsführer nicht mehr an Bord ist? Einzelne Gesellschafter oder zwingend alle Gesellschafter zusammen, geeint in der Gesellschafterversammlung durch eine formelle Beschlussfassung? Die §§ 6 Abs. 3 Satz 2, 46 Nr. 5 GmbHG überantworten die Bestellung der Geschäftsführer zwar grundsätzlich der Gesellschafterversammlung, die hierüber per Beschluss entscheiden muss. Zur vorgelagerten Suche nach geeigneten Kandidaten, die bestellt werden könnten, schweigt das GmbHG jedoch. Die Zuständigkeit wird insoweit sowohl bei der Gesellschafterversammlung als auch den einzelnen Gesellschaftern verortet (vgl. Thüsing in: Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 38. Erg.-Lfg. 2016, Geschäftsführerverträge Rn. 38). Das OLG München lässt es vorliegend indes offen, ob auch diese Verantwortung der gesellschafterlichen Treupflicht entspringt. Würde man dies annehmen, dann hätte das Schädigungsverbot (vgl. dazu auch Retzlaff, jurisPR-BGHZivilR 12/2016 Anm. 3) nicht nur eine rein passive Bedeutung, sondern würde auch aktive Handlungen der Gesellschafter erfordern.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen für die Praxis sind überschaubar. Wichtiger war die unmittelbar vorgelagerte Kurskorrektur des BGH zur Frage der Reichweite einer positiven Stimmpflicht/Stimmbindung qua gesellschafterlicher Treuepflicht. Die vorliegende Entscheidung wendet den dortigen Maßstab allerdings erstmals instanzgerichtlich an.
Darüber hinaus ist das Problem des ausscheidenden letzten GmbH-Geschäftsführers nicht gerade selten. Dabei zeigt sich eine Verantwortlichkeit bei der Suche nach einem neuen Geschäftsführer auch bei jedem einzelnen Gesellschafter.