Nachfolgend ein Beitrag vom 28.3.2017 von Podewils, jurisPR-HaGesR 3/2017 Anm. 6

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Ein Gesellschafter unterliegt bei der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung einer GmbH einem Stimmverbot entsprechend § 47 Abs. 4 GmbHG dann, wenn die Abstimmung das Rechtsgeschäft mit einer anderen Gesellschaft betrifft, an welcher der Gesellschafter ein besonderes unternehmerisches Interesse hat, etwa weil er sie so beherrscht, dass er dort eher Zugriff auf die mit dem Rechtsgeschäft verbundene Leistung hat als in der abstimmenden Gesellschaft.
2. Die Zustimmung eines Gesellschafters zu einem Beschluss der Gesellschafterversammlung verstößt gegen die gesellschaftsrechtliche Treupflicht, wenn die zu beschließendes Maßnahme aus objektiven Gründen im Interesse der Gesellschaft unabweisbar zu unterlassen ist.
3. Die Beweislast für den einen Stimmrechtsmissbrauch begründenden Verstoß eines Gesellschafters gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht obliegt demjenigen, der den Verstoß geltend macht.

A. Problemstellung

Abgesehen vom klassischen „Ehe- bzw. Scheidungskrach“ sowie den gängigen Nachbarschafts- und Erbstreitigkeiten erweisen sich gesellschaftsrechtliche Beziehungen oftmals als besonders konfliktträchtig. Hier geht es nicht zuletzt um die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Mittelpunkt des zugrunde liegenden Sachverhaltes stehen ein Mehrheitsgesellschafter (51%) und ein Minderheitsgesellschafter (49%), der spätere Kläger, die mit diesen Anteilsquoten an einer deutschen GmbH, der späteren Beklagten, beteiligt und dort zugleich jeweils alleinvertretungsberechtigte und von § 181 BGB befreite Geschäftsführer sind. Die GmbH-Satzung sieht, soweit nichts anderes bestimmt oder gesetzlich verlangt ist, Beschlussfassungen mit einfacher Mehrheit vor. Die GmbH ist im Bereich der erneuerbaren Energien tätig. Beide Gesellschafter sind zudem zusammen an einer Vielzahl weiterer Gesellschaften in diesem Sektor beteiligt, welche in insgesamt drei Konzernen zusammengefasst sind, an deren Leitung beide Gesellschafter beteiligt sind bzw. waren.
Im Juli 2012 kam es zu einer Gesellschafterversammlung der Beklagten, in der es namentlich um eine Anweisung an die Geschäftsführung zum Verkauf der Anteile von vier polnischen Tochtergesellschaften – jeweils zum Nennwert – an die E.-AG ging. Alleinaktionärin der E.-AG ist eine weitere GmbH, die U.-GmbH, deren Anteile wiederum zu 51 bzw. 49% vom Mehrheitsgesellschafter einerseits und vom Minderheitsgesellschafter andererseits gehalten werden. Der Mehrheitsgesellschafter ist noch, der Minderheitsgesellschafter war bis August 2014 einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der U.-GmbH. Der Mehrheitsgesellschafter ist Vorstandsvorsitzender der E.-AG.
An der Versammlung nahmen der Mehrheitsgesellschafter sowie für den Minderheitsgesellschafter dessen Rechtsanwalt teil. Letzterer widersprach zu Beginn der Versammlungsleitung durch den Mehrheitsgesellschafter und dessen Beschlussfeststellungskompetenz.
Dessen ungeachtet stellte der Mehrheitsgesellschafter den Beschlussantrag, die Geschäftsführung der Beklagten anzuweisen, sämtliche Geschäftsanteile an den Tochtergesellschaften zum Nennwert an die E.-AG zu veräußern. Die Beschlussvorlage wurde damit begründet, dass nur so die bei den Tochtergesellschaften liegenden Projektrechte realisierbar seien, da diesen selbst die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel fehlten.
Der Mehrheitsgesellschafter stimmte für den Antrag, der Vertreter des Minderheitsgesellschafters dagegen. Anschließend stellte der Mehrheitsgesellschafter fest, dass der Beschluss mehrheitlich gefasst worden sei, der Vertreter widersprach hingegen Beschluss und Beschlussfeststellung.
Mit seiner Klage machte der Minderheitsgesellschafter geltend, der Beschluss sei zumindest anfechtbar. Denn der Mehrheitsgesellschafter sei analog § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG von der Beschlussfassung ausgeschlossen gewesen, da er sich aufgrund seiner Eigenschaft als Mehrheitseigner der U.-GmbH in einem erheblichen Interessenkonflikt befunden habe. Jedenfalls aber habe er mit dem Beschluss gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßen.
Beide Argumente verfingen indes beim OLG Brandenburg nicht, welches die Klage folgerichtig abgewiesen hat.
Da der Verkauf nicht an den Mehrheitsgesellschafter selbst, sondern an die E.-AG erfolgen sollte, war § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG unstreitig nicht unmittelbar anwendbar.
Grundsätzlich ist § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG zwar analogiefähig; die Voraussetzungen hierfür hielt das OLG Brandenburg jedoch vorliegend nicht für gegeben. Nicht jeder Fall einer potentiellen Interessenkollision bzw. eines Richtens in eigener Sache trägt eine analoge Anwendung von § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG. Bei der Beteiligung an einer Drittgesellschaft kommt es vielmehr darauf an, ob diese Beteiligung typischerweise dazu führt, dass der Gesellschafter diesem Interesse Vorrang einräumt vor den Interessen der betreffenden Gesellschaft (so bereits BGH, Urt. v. 10.02.1977 – II ZR 81/76 – BGHZ 68, 107, 110).
Vorliegend sprach hiergegen zum einen, dass der Mehrheitsgesellschafter sowohl an der hier beklagten GmbH als auch an der U.-GmbH als Muttergesellschaft der E.-AG die Mehrheit hielt und dies auch noch zu identischen Beteiligungsquoten mit dem Minderheitsgesellschafter. Zum anderen war – trotz seiner Position als Vorstandsvorsitzender der E.-AG – nicht ersichtlich, dass sich der Mehrheitsgesellschafter durch die Anteilsübertragung etwa einen besseren Zugriff auf die Tochtergesellschaften gesichert haben könnte. Schließlich war er zugleich alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der beklagten GmbH und hätte in dieser Konstellation wohl sogar bessere Möglichkeiten gehabt, auf die Tochtergesellschaften bzw. deren Geschäftsleitung einzuwirken.
Auch das Vorliegen einer Treuepflicht verneinte das OLG Brandenburg. Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht folgt eine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber Gesellschaft und auch Mitgesellschaftern. Im Einzelfall kann hieraus sogar eine Verpflichtung der Gesellschafter folgen, ihr Stimmrecht in der Gesellschaft in einer bestimmten Weise auszuüben (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08 – BGHZ 183, 1, sowie BGH, Urt. v. 09.06.2015 – II ZR 420/13 – NZG 2015, 995; dazu Hippeli, jurisPR-HaGesR 10/2015 Anm. 4).
Dafür genügt es aber keineswegs, dass der zugrunde liegende Gesellschafterbeschluss unzweckmäßig erscheint. Vielmehr kommt eine Beschränkung der Stimmrechtsausübungsfreiheit nur im Ausnahmefall in Betracht – nämlich dann, wenn der Gesellschaftszweck objektiv eine bestimmte Maßnahme zwingend gebietet und dem Gesellschafter die Zustimmung zumutbar ist. Eine Pflicht zur Abstimmung in einem bestimmten Sinn besteht danach nur, wenn zur Verfolgung der Interessen der Gesellschaft keine andere Stimmabgabe denkbar ist, andernfalls sichere schwere Nachteile entstehen, und die eigenen Interessen des Gesellschafters dahinter zurückstehen müssen (eingehend BGH, Urt. v. 12.04.2016 – II ZR 275/14 – GmbHR 2016, 759; dazu König, jurisPR-HaGesR 8/2016 Anm. 3).
Hierzu fehlte es schon an einem hinreichenden Vortrag des klagenden Minderheitsgesellschafters. Wer sich auf eine Treuepflichtverletzung beruft, ist insoweit grundsätzlich vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet (vgl. Wertenbruch in: MünchKomm GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anh. zu § 47 Rn. 262 m.w.N.).
Auch aus einem Verkauf der Anteile zum Nennwert folge nichts anderes. Insbesondere treffe die beklagte GmbH auch keine sekundäre Darlegungslast zum Marktwert der in Rede stehenden Anteile. Eine Voraussetzung ist nämlich inter alia, dass sich die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei die erforderlichen Informationen nicht selbst beschaffen kann (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, vor § 284 Rn. 34). Vorliegend hätte der Minderheitsgesellschafter die entsprechenden Informationen ohne weiteres selbst erlangen können: zum einen kraft seiner (damaligen) Stellung als Geschäftsführer in der beklagten GmbH und der U.-GmbH sowie als Mitglied des Aufsichtsrates der E.-AG und zum anderen naturgemäß auch aufgrund seiner Gesellschaftereigenschaft, ggf. über den Auskunftsanspruch nach den §§ 51a, 51b GmbHG.

C. Kontext der Entscheidung

Prima facie hätte man daran denken können, ob eine Anwendung von § 47 Abs. 4 Satz 2 BGB nicht schon a priori ausscheiden müsste, da die beiden Gesellschafter jeweils in demselben Verhältnis an der beklagten GmbH wie auch an der U.-GmbH beteiligt waren und somit gleichmäßig betroffen erscheinen (zu dieser Konstellation Drescher in: MünchKomm GmbHG, § 47 Rn. 188). Dies hat das OLG Brandenburg unter Hinweis darauf abgelehnt, dass der Verkauf nicht an die U.-GmbH, sondern an die E.-AG erfolgen sollte.
Qua teleologischer Reduktion findet das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 Satz 2 BGB freilich keine Anwendung auf die sog. korporativen Sozialakte, also Entscheidungen über Angelegenheiten des innergesellschaftlichen Lebens, bei denen jeder Gesellschafter aufgrund seines Mitgliedsrechts zur Mitwirkung berufen ist und bei dem er sein Mitgliedschaftsrecht ausübt (vgl. BGH, Urt. v. 09.07.1990 – II ZR 9/90 – WM 1990, 1618; Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 47 Rn. 49 f.). In diesen Fällen gebührt dem Partizipationsinteresse des Gesellschafters Vorrang vor dem Schutz vor Interessenkollisionen. Dies gilt etwa für Abstimmungen über die Bestellung des Gesellschafters zum Geschäftsführer oder seine Abberufung (ausgenommen aus wichtigem Grund) wie auch für Entscheidungen über die Bedingungen seines Anstellungsvertrags als GmbH-Geschäftsführer (eingehend Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 47 Rn. 50 m.w.N.).
Offensichtlich handelte es sich vorliegend nicht um einen solchen Fall.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil des OLG Brandenburg verdient vollumfängliche Zustimmung.
Sicherlich handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich zudem in wesentlichen Punkten auf einschlägige BGH-Rechtsprechung stützen kann.
Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung durchaus lehrreich, führt sie doch vor Augen, dass Minderheitenschutz im Gesellschaftsrecht gut und wichtig ist, aber die grundsätzliche Geltung des Mehrheitsprinzips nicht in Frage stellt.
Die Bedeutung der Entscheidung ist nicht auf die GmbH beschränkt. Zum einen existieren z.B. in § 136 AktG vergleichbare Regelungen. Zum anderen wird, soweit solche speziellen Normen nicht vorhanden sind, § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG – im Wege der Gesamtanalogie zusammen mit § 34 BGB, § 136 AktG und § 43 Abs. 6 GenG – auf andere Gesellschaftsformen entsprechend angewandt (vgl. Sprau in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, vor § 709 Rn. 15).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Als Vorfrage zur Beurteilung der hier erhobenen Anfechtungsklage hat das OLG Brandenburg entschieden, dass der angegriffene Gesellschafterbeschluss förmlich und mit vorläufiger Wirksamkeit festgestellt worden war (vgl. hierzu auch Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 47 Rn. 38 m.w.N.). Zu Beginn der Versammlung sei der Mehrheitsgesellschafter nämlich – ad hoc – ordnungsgemäß zum Versammlungsleiter gewählt worden. Bei der Wahl zum Versammlungsleiter handelt es sich wiederum einen korporativen Sozialakt, für den § 47 Abs. 4 Satz 2 BGB nicht gilt (vgl. Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 47 Rn. 50; Seibt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 48 Rn. 53). Dass die Wahl ausschließlich auf seiner eigenen Stimmabgabe beruhte, war daher unerheblich.
Der Versammlungsleiter/Mehrheitsgesellschafter verfügte auch über die notwendige Beschlussfeststellungskompetenz; diese können die Gesellschafter einem ad hoc bestellten Versammlungsleiter sowohl ausdrücklich als auch konkludent erteilen (vgl. Podewils, GmbH-StB 2016, 106).
Vorliegend war es so, dass die Wahl zum Versammlungsleiter erfolgte, nachdem der Vertreter des Minderheitsgesellschafters ausdrücklich sowohl die Versammlungsleitung durch den Mehrheitsgesellschafter als auch dessen Beschlussfeststellungskompetenz angegriffen hatte. Daher sei mit der Wahl zum Versammlungsleiter konkludent auch die Beschlussfeststellungskompetenz zugesprochen worden.
Da diesbezüglich noch keine BGH-Judikatur vorliegt und in Rechtsprechung wie Schrifttum im Einzelnen einiges umstritten ist (Podewils, GmbH-StB 2016, 106, 107 m.w.N.), empfiehlt es sich in der rechtsgestaltenden Praxis, bereits in der Satzung eindeutige Regelungen betreffend sowohl die Person des Versammlungsleiters als auch dessen Befugnisse niederzulegen.