Nachfolgend ein Beitrag vom 26.09.2016 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 39/2016 Anm. 6
Leitsätze
1. Einer geschäftsleitenden Holding, die an der Verwaltung einer Tochtergesellschaft teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, steht für Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an dieser Tochtergesellschaft stehen, grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zu.
2. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG kann in einer mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu vereinbarenden Weise richtlinienkonform dahin gehend ausgelegt werden, dass der Begriff „juristische Person“ auch eine GmbH & Co. KG umfasst.
A. Problemstellung
Die lange Reihe der Entscheidungen des BFH im Nachgang zu der EuGH-Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen „Larentia+Minerva“ und „Marenave“ (EuGH, Urt. v. 16.07.2015 – C-108/14 und C-109/14 – MwStR 2015, 583) ist mit dem nun ergangenen zweiten Nachfolgeurteil des XI. Senats zu einem vorläufigen Ende gelangt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Klägerin ist ein Dachfonds in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, der im Streitjahr 2005 an zwei Schiffs-GmbH & Co. KGs zu jeweils mindestens 98% als Kommanditist beteiligt war. Nach einem Dienstleistungsvertrag erbrachte die Klägerin diverse betriebswirtschaftliche und administrative Leistungen gegen Entgelt an die beiden Tochtergesellschaften. Sowohl aus ihren eigenen Kosten als auch aus der Anwerbung von Kapital fielen bei der Klägerin erhebliche Vorsteuerbeträge an, die sie umsatzsteuerlich in Abzug brachte.
Das Finanzamt verwehrte den Vorsteuerabzug zu fast 78% mit der Begründung, die Gesellschaft habe einen erheblichen nichtwirtschaftlichen Bereich, woraufhin die Beteiligungsgesellschaft erfolglose finanzgerichtliche Klage erhob (FG Hannover, Urt. v. 12.05.2011 – 16 K 411/07 – EFG 2011, 1751). Hiergegen wandte sich die Gesellschaft mit der Revision zum BFH und trug zunächst vor, sie sei in vollem Umfang vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmerin. Hilfsweise berief sie sich auf eine umsatzsteuerliche Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) mit ihren Tochtergesellschaften.
In der Folge legte der BFH in diesem und einem weiteren Verfahren diverse Fragen zum Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft sowie zur umsatzsteuerlichen Organschaft dem EuGH vor (BFH, Beschl. v. 11.12.2013 – XI R 17/11 – BStBl II 2014, 417, m. Anm Lieber, jurisPR-SteuerR 19/2014 Anm. 7; parallel BFH, Beschl. v. 11.12.2013 – XI R 38/12 – BStBl II 2014, 428, m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 21/2014 Anm. 5). Am 16.07.2015 entschied der EuGH, dass eine Holdinggesellschaft, die entgeltliche Dienstleistungen an ihre Beteiligungen ausführte, zum Vorsteuerabzug berechtigt war, soweit ihre Umsätze nicht steuerfreie Ausschlussumsätze seien und kein Missbrauch vorliege. Zur Organschaft entschied der EuGH unter anderem, er habe Bedenken gegen einen grundsätzlichen Ausschluss von Personengesellschaften wie auch gegen die strenge Ausgestaltung der Eingliederung im Sinne einer Über- und Unterordnung, doch könnte ein Steuerpflichtiger sich insoweit nicht unmittelbar auf Art. 11 MwStSystRL berufen. Vielmehr müsse das nationale Gericht beurteilen, ob und inwieweit der deutsche Gesetzeswortlaut auslegungsfähig sei.
Der BFH erklärt die Revision für begründet. Die GmbH & Co. KG sei Unternehmer und voll zum Vorsteuerabzug berechtigt, denn sie habe nur entgeltliche, den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Umsätze an die Tochtergesellschaften erbracht, und es ergäben sich aus dem FG-Urteil auch keine Anhaltspunkte eines Rechtsmissbrauchs, insbesondere nicht aus der Höhe der Entgelte. Dies führte zur Aufhebung der Vorentscheidung. Der BFH konnte jedoch nicht abschließend entscheiden, denn er hält es für möglich, dass eine umsatzsteuerliche Organschaft mit den Tochtergesellschaften bestehe, was bedeuten würde, dass dann deren Umsätze bei der Klägerin als Organträgerin zu erfassen wären. Hierzu habe das Finanzgericht weitere Sachverhaltsfeststellungen zu treffen.
Unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung und Wiederholdung seiner Ausführungen aus der Entscheidung vom 19.01.2016 (XI R 38/12 – BFHE 252, 516, m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 24/2016 Anm. 6) erläutert der BFH, dass er den Begriff der „juristischen Person“ i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Licht des Unionsrechts so auslege, dass er auch eine „kapitalistisch geprägte“ Personengesellschaft wie eine GmbH & Co. KG erfasse. Dies lasse sich aus einschlägigen Entscheidungen des BVerfG (Beschl. v. 19.07.2000 – 1 BvR 539/96 – BVerfGE 102, 197; Beschl. v. 02.09.2002 – NJW 2002, 3533) sowie des BVerwG (Urt. v. 01.10.2015 – 7 C 8/14 – NVwZ 2016, 316) entnehmen.
Der BFH ergänzt, sein Ergebnis sei mit dem der Rechtsprechung des V. Senats, der ebenfalls die EuGH-Entscheidung umgesetzt habe, vereinbar (BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 25/13 – BFHE 251, 534 = BFH/NV 2016, 500; BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 15/14 – BFHE 252, 158 = BFH/NV 2016, 506). Es sei nicht von Relevanz, dass dieser Senat eine andere Begründung verwendet habe, denn er halte offenbar eine Organschaft mit einer GmbH & Co. KG als eingegliederter Gesellschaft für möglich. Die fehlende Entscheidungserheblichkeit bedeute, dass keine Anrufung des Großen Senats (§ 11 Abs. 2 FGO) geboten sei. Das Finanzgericht habe nun zu klären, ob die Tochtergesellschaften finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in die Klägerin eingegliedert gewesen seien.
C. Kontext der Entscheidung
Der V. Senat des BFH hat bereits mit mehreren Urteilen vom 02.12.2015 (V R 25/13 – BFHE 251, 534 = BFH/NV 2016, 500; V R 15/14 – BFHE 252, 158 = BFH/NV 2016, 506, m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 33/2016 Anm. 5 und vom 03.12.2015 (V R 36/13 – BFHE 251, 556) als erster und damit vor dem an den EuGH vorlegenden XI. Senat sowohl zur Frage einer Personengesellschaft als Organgesellschaft als auch zu den Eingliederungskriterien Stellung genommen. Nunmehr liegen auch beide eigentlichen Nachfolgeentscheidungen des XI. Senats vor.
Während sich der V. Senat bei der Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf die Überlegung gestützt hat, es dürften nur der Organträger und in diesen finanziell eingegliederte Personen Gesellschafter der einzugliedernden Personengesellschaft – grundsätzlich unabhängig von deren genauer Rechtsform, d.h. nicht explizit auf die GmbH & Co. KG beschränkt – sein, orientiert sich der XI. Senat bei der Auslegung am Begriff der juristischen Person.
Dies zeigt, dass die Meinungen der beiden Senate des BFH nicht unbedingt deckungsgleich sind, denn die Auslegung des V. Senats hätte für den vorliegenden Fall wohl zwingend keine Organschaft ermöglicht (nur ca. 98% Kommanditanteil laut Sachverhalt). Revisionsrechtlich ist die Entscheidung jedoch in vollem Umfang zutreffend.
Nach wie vor weitgehend offen ist weiterhin, wie mit der Entscheidung des EuGH bezüglich der Eingliederungskriterien umzugehen ist. Der V. Senat hat entschieden, dass wegen der Notwendigkeit der rechtssicheren Entscheidung über die Organschaft zumindest weiterhin eine finanzielle Eingliederung im Sinne einer entsprechenden Stimmenmehrheit erforderlich sei. Zur wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung nach der EuGH-Entscheidung liegen – mangels Entscheidungserheblichkeit – bisher hingegen keine eindeutigen Aussagen vor.
Es ist weiter abzuwarten, wie nun Finanzverwaltung und Gesetzgeber zur Organschaft vorgehen werden. Zumindest in einer ersten OFD-Verfügung vertritt eine OFD, dass sie bereit ist, eine GmbH & Co. KG als Organgesellschaft anzuerkennen, falls die durch den V. Senat geforderte finanzielle Beherrschung – und die organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung – gegeben sind (vgl. OFD Frankfurt/M., Rdvfg. v. 24.05.2016 – S 7105 A-22-St 110).
Zum Vorsteuerabzug von Beteiligungen ist im Übrigen zwischenzeitlich noch ein weiteres anhängiges EuGH-Verfahren bekanntgeworden. In der Rechtssache „MVM“ (C-28/16), vorgelegt aus Ungarn, wird der EuGH auf die Frage einzugehen haben, ob eine Holding, die aktiv in die Geschäftstätigkeit der Töchter eingreift, aber hierfür kein Entgelt berechnet, zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Für den Bereich Vorsteuerabzug von Holdings sollte nunmehr weitgehend sicher feststehen, dass Gesellschaften, die entgeltliche Leistungen an die Tochtergesellschaft(en) ausführen, soweit diese keine Ausschlussumsätze sind, volles Vorsteuerabzugsrecht besitzen. Ausgenommen sind Fälle des Missbrauchs, der freilich nur in extremen Konstellationen anzunehmen sein dürfte.
Steuerpflichtige sollten weiter sorgfältig prüfen, ob es jedenfalls bei einer Tochtergesellschaft, die als GmbH & Co. KG organisiert ist, ggf. vorteilhaft wäre, sich auf eine Organschaft zu berufen, und dann soweit erforderlich Beteiligungsverhältnisse oder andere Paramater anpassen. Dies dürfte vor allem in limitiert vorsteuerabzugsberechtigten Branchen (Banken, Versicherungen, Krankenhäuser) von Interesse sein, oder aber, wenn aus anderen Gründen (z.B. Rechnungsformalien) der Vorsteuerabzug versagt werden soll.
Insgesamt sei der Wunsch nach einer zeitnahen, klaren Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer unionsrechtskonformen und ausreichend eindeutigen und rechtssicheren Neugestaltung der deutschen umsatzsteuerlichen Organschaftsregeln geäußert.