Nachfolgend ein Beitrag vom 12.6.2017 von Dötsch, jurisPR-SteuerR 24/2017 Anm. 1

Leitsatz

Der Senat hält daran fest, dass eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG unterliegt und der hierdurch ausgelöste Wegfallgewinn, sofern er auf dem Gesellschaftsverhältnis beruht, durch den Ansatz einer Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der betroffenen Forderungen zu neutralisieren ist (Bestätigung des Senatsurt. v. 15.04.2015 – I R 44/14 – BFHE 249, 493 = BStBl II 2015, 769).

A. Problemstellung

Im Streitfall hatte der BFH die im Leitsatz skizzierten Fragen im Zusammenhang mit dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG zu beantworten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In den auf den Schluss der Streitjahre 2000 bis 2002 erstellten Bilanzen der Klägerin (GmbH) waren Gesellschafterforderungen i.H.v. 18 Mio. DM (2000), 54 Mio. DM (2001) und 39 Mio. Euro (2002) passiviert. Die Kapitalrücklage betrug durchgehend 3,5 Mio. DM. Dem standen jeweils Verlustvorträge und nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge gegenüber, die die Kapitalrücklage um ein Mehrfaches übertrafen.
Zur Abwendung der Krise der Gesellschaft vereinbarte die Klägerin mit ihren Gesellschaftern im Jahr 2002, dass die Gesellschafterforderungen „hinter die Forderungen anderer Gläubiger zurücktreten (und) ihre Befriedigung nur aus einem künftigen Bilanzgewinn oder einem etwaigen Liquidationserlös (verlangt werden) kann.“
Das Finanzamt meinte, dass die Gesellschafterdarlehen nach § 5 Abs. 2a EStG in den Steuerbilanzen der Streitjahre nicht mehr ausgewiesen werden dürften. Dementsprechend stellte es die verbleibenden Verlustvorträge zur Körperschaftsteuer auf das Ende der Streitjahre i.H.v. 5,4 Mio. DM (2000), 0 DM (2001) und 4,4 Mio. Euro (2002) fest. Die Feststellungen zum vortragsfähigen Gewerbeverlust beliefen sich auf 6,2 Mio. DM (2000), 0 DM (2001) und 3,5 Mio. Euro (2002). Der Gewerbesteuermessbetrag für 2001 wurde auf 182.355 DM festgesetzt.
Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage statt, weil es die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2a EStG verneinte (FG Köln, Urt. v. 26.03.2015 – 10 K 3777/09). Die Revision des Finanzamts hatte teilweise Erfolg. Der BFH wies sie als unbegründet zurück, soweit sie die Streitjahre 2000 und 2001 betraf. Im Übrigen (betr. Verlustfeststellungsbescheide 2002) hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Er führte im Wesentlichen aus:
I. In Bezug auf die Streitjahre 2000 und 2001 könne die Revision schon deswegen keinen Erfolg haben, weil die Rangrücktritte erst 2002 vereinbart worden seien und deshalb nach dem Stichtagsprinzip (§ 242 Abs. 1 HGB) den steuerbilanziellen Ausweis der betroffenen Gesellschafterdarlehen frühestens zum 31.12.2002 hätten beeinflussen können.
II. Soweit die Revision die Verlustfeststellungsbescheide zum 31.12.2002 betreffe, sei sie begründet und führe zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung. Bereits im Urteil vom 15.04.2015 (I R 44/14 – BStBl II 2015, 769) habe der Senat ausgeführt, dass eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen sei, dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG unterliege. Die Gegenansicht (vgl. z.B. Briese, GmbHR 2015, 884), der BFH habe die Vermögenslosigkeit zum Nicht-Passivierungskriterium gekürt, verkenne die tragenden Erwägungen dieser Rechtsprechung. Es bestehe kein Zweifel daran, dass mit Rücksicht auf das Gebot des vollständigen Vermögensausweises (§ 246 Abs. 1 HGB) allein die Vermögenslosigkeit des Schuldners nicht dazu führe, eine rechtlich bestehende Verpflichtung aus der Bilanz auszubuchen, und Gleiches für den Fall gelte, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung die Verpflichtung bestehen lasse, die subordinierten Gesellschafterforderungen aus dem nach Begleichung der vorrangigen Ansprüche verbleibenden sog. freien Vermögen zu tilgen. Demgemäß sei ein steuerrechtliches Passivierungsverbot erst dann zu bejahen, wenn der Rangrücktritt in dem Sinne spezifiziert werde, dass die hiervon betroffenen Verpflichtungen nur zu erfüllen seien, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfielen. Den Anforderungen des § 5 Abs. 2a EStG sei im Übrigen nicht nur dann genügt, wenn der Rangrücktritt eine Tilgung nur aus zukünftigen Jahresüberschüssen oder Steuerbilanzgewinnen vorsehe. Vielmehr rechne hierzu auch eine im Zeitpunkt der Überschuldung getroffene Abrede, nach der Forderungen aus zukünftigen handelsrechtlichen Bilanzgewinnen zu begleichen seien. Dass in diesen Bilanzgewinnen auch Kapitalrücklagen eingehen könnten, habe der Senat nicht nur wirtschaftlich, sondern auch bei rechtlicher Beurteilung der Abrede als maßgeblich erachtet, weil solche Rücklagen vorrangig mit den Verlustvorträgen zu verrechnen seien (§ 268 Abs. 1 Satz 2 HGB).
Nicht durchgreifen könne ferner der gelegentlich erhobene Einwand, die auch hier vereinbarte Tilgung aus einem Liquidationsüberschuss belaste das aktuelle Vermögen des Schuldners (Oser, BB 2015, 1906). Nicht zu folgen sei schließlich der Ansicht, der Wegfallgewinn (durch Ausbuchung der Gesellschafterforderungen in der Steuerbilanz) sei im Falle einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis durch eine Einlage zu kompensieren, die entgegen dem BFH-Urteil vom 15.04.2015 (I R 44/14 – BStBl II 2015, 769) nicht nach dem Teilwert der Gesellschafterforderungen, sondern nach deren Nennwert bemessen werden müsse (so z.B. Müller, BB 2016, 491). Dem widerspreche die ständige und zutreffende BFH-Rechtsprechung (grundlegend: BFH, Beschl. v. 09.06.1997 – GrS 1/94 – BStBl II 1998, 307), wonach bei einem auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr vollwertige Forderung gegen die Kapitalgesellschaft die Einlage mit dem Teilwert anzusetzen sei. Demgemäß könne für den Rangrücktritt nichts anderes gelten.

C. Kontext der Entscheidung

Dem Besprechungsurteil ist beizupflichten. Es liegt auf der bisherigen Linie der Rechtsprechung des BFH (vgl. zuletzt BFH, Urt. v. 15.04.2015 – I R 44/14 – BStBl II 2015, 769; vgl dazu Dötsch, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 2).
I. Der zwischen der Klägerin und ihren Gesellschaftern im Jahr 2002 vereinbarte Rangrücktritt führte (mit Wirkung ex nunc) dazu, dass die Gesellschafter ihre Darlehensforderungen gegen die Klägerin nicht (mehr) aus dem gegenwärtigen – „freien“ – Vermögen der Klägerin, sondern nur (noch) aus künftigen Bilanzgewinnen und/oder etwaigen Liquidationsüberschüssen befriedigen konnten. Aus diesem Befund hat das Besprechungsurteil in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 15.04.2015 – I R 44/14) und entgegen der Vorinstanz zutreffend hergeleitet, dass die subordinierten Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftern in den Steuerbilanzen der Klägerin ab 31.12.2002 gemäß § 5 Abs. 2a EStG nicht mehr ausgewiesen werden durften. Die gegen diese Sachbehandlung in Teilen der Literatur erhobenen Einwände (vgl. z.B. Briese, GmbHR 2015, 884, 885; Oser, BB 2015, 1906) hat der BFH zu Recht als nicht überzeugend zurückgewiesen (näher zur Unbegründetheit dieser Einwände Dötsch, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 2).
II. Dem Besprechungsurteil ist überdies auch darin zu folgen, dass der durch die Ausbuchung der subordinierten Verbindlichkeiten verursachte Wegfallgewinn, wenn und soweit er auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhte, in Höhe und nur in Höhe des werthaltigen Teils der betroffenen Gesellschafterforderungen zu neutralisieren war. Zur näheren Begründung vgl. Dötsch, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 2.

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Große praktische Bedeutung wird der unter C.II. angesprochenen Frage schon deshalb in aller Regel nicht zukommen, weil man bei einem Rangrücktritt der Gesellschafter in der Krise der Gesellschaft nur noch selten von einer (Teil-)Werthaltigkeit der betroffenen subordinierten Forderungen ausgehen kann.
II. Rangrücktrittsvereinbarungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern sind im Spannungsfeld von Insolvenz- und Steuerrecht äußerst sorgfältig zu formulieren, um beide der von den Vertragsparteien verfolgten, in gewisser Weise konfligierenden Ziele – nämlich die Nichtberücksichtigung der Gesellschafter-Darlehensverbindlichkeiten im Überschuldungsstatus der Gesellschaft einerseits bei gleichzeitiger Passivierung der Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz der Gesellschaft andererseits – zu erreichen. Mit Blick auf das BMF-Schreiben vom 08.09.2006 (BStBl I 2006, 497) sollte die Rangrücktrittsvereinbarung aus steuerlicher Sicht sicherheitshalber eine Klausel enthalten, die eine Tilgung der im Rang zurücktretenden Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftern aus dem sonstigen – „freien“ – Vermögen des Schuldners ermöglicht (Bergmann/Clemens, DB 2015, 1867, 1868).


Anmerkung: „Sicherheitshalber“ und „sollte“ sind Formulierungen, die viel zu weich sind. Um steuerliche Anerkennung zu erlangen und gerade nicht dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG zu unterfallen, müssen Rangrücktrittsvereinbarungen stets auch die dritte mögliche Tilgungsquelle („sonstiges freies Vermögen“) enthalten. Unsere Praxis zeigt, dass derartige unvollständige Vereinbarungen nahezu immer von Steuerberatern vorformuliert worden sind, die  zu einer Fortbildungsveranstaltung das letzte Mal gefühlt vor der Jahrhundertwende gewesen sind. Unzureichende Rangrücktrittserklärungen sind ein Lieblingsthema bei betriebsprüfungen, kann man doch auf diese Weise als Prüfer sehr „schöne “ Mehrergebnisse generieren und dies auch noch „garniert“ mit noch viel „schöneren“ Zinsbelastungen. Da kommen ganz schnell 5-, wenn nicht gar 6-stellige Beträge zusammen.