Nachfolgend ein Beitrag vom 26.4.2016 von Cavaillès/Schmidt, jurisPR-HaGesR 4/2016 Anm. 1

Leitsatz

Der in einer GmbH-Gesellschafterversammlung bestimmte Versammlungsleiter kann die Befugnis zur Beschlussfeststellung haben mit der Folge, dass der Beschluss zunächst als wirksam gefasst anzusehen ist und die Wirksamkeit nur durch Klage beseitigt werden kann. Ein ad hoc bestellter Versammlungsleiter hat diese mit den genannten Wirkungen versehene Befugnis zur Beschlussfeststellung nur dann, wenn sie ihm ausdrücklich oder jedenfalls stillschweigend durch die Gesellschafter erteilt worden ist.

A. Problemstellung

Die zu besprechende Entscheidung setzt sich zentral mit der Frage auseinander, ob einem in einer GmbH-Gesellschafterversammlung ad hoc bestellten Versammlungsleiter die Befugnis zur wirksamkeitsbegründenden Beschlussfeststellung zukommt.
Im Fall der Beschlussfeststellungsbefugnis des ad hoc bestellten Versammlungsleiters könnte ein durch diesen festgestellter Beschluss trotz eventueller Fehlerhaftigkeit erst durch erfolgreiche (fristgebundene) Anfechtungsklage beseitigt werden und wäre bis dahin wirksam.
Käme dagegen dem ad hoc bestellten Versammlungsleiter keine entsprechende Befugnis zu, so wäre ein durch ihn „festgestellter“ Beschluss mangels Wirksamkeit der Beschlussfeststellung nicht rechtswirksam, was durch formlose Einrede geltend gemacht oder im Rahmen einer (nicht fristgebundenen) negativen Feststellungsklage gerichtlich festzustellen verlangt werden könnte.
Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beschlussfeststellungsbefugnis des ad hoc bestellten Versammlungsleiters einer GmbH-Gesellschafterversammlung liegt bislang nicht vor.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines durch einen ad hoc bestellten Versammlungsleiter festgestellten GmbH-Gesellschafterbeschlusses.
Eine GmbH (im Folgenden: die „Gesellschaft“) war durch Beschluss der Gesellschafterversammlung aufgelöst worden. Ein Liquidator wurde daraufhin bestellt.
Die Gesellschaft hatte zwei Gesellschafter. Der eine Gesellschafter (im Folgenden der „Gesellschafter A“) hielt 51% der Geschäftsanteile und der andere Gesellschafter (im Folgenden der „Gesellschafter B“) die restlichen 49% der Geschäftsanteile. Es fand sodann eine außerordentliche Gesellschafterversammlung mit dem Gegenstand einer Erhöhung des Stammkapitals um 200.000 Euro statt, um zusätzliches Kapital zur Gläubigerbefriedigung zu beschaffen. Infolge einer solchen Kapitalerhöhung hätten der Gesellschafter A neue Anteile mit einem Nennwert von 102.000 Euro und der Gesellschafter B neue Anteile mit einem Nennwert von 98.000 Euro übernehmen können.
Sowohl der Liquidator als auch der Gesellschafter A sahen dabei eine Kapitalerhöhung als notwendiges Mittel zur Beschaffung von Kapital zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft. Der Gesellschafter B war abweichender Auffassung und sah eine mögliche Kapitalmaßnahme lediglich als Mittel zur Behebung von anderweitigem Streit zwischen den Gesellschaftern.
Dem Vorschlag des Liquidators, die Versammlungsleitung zu übernehmen, wurde einstimmig zugestimmt.
Im Rahmen der Abstimmung stimmte der Gesellschafter A für und der Gesellschafter B gegen die Erhöhung des Stammkapitals der Gesellschaft.
Auf Hinweis des anwaltlichen Beistands des Gesellschafters A, dass der Gesellschafter B aufgrund seiner Treuepflicht der Kapitalerhöhung zuzustimmen habe, stellte der Versammlungsleiter fest, dass die ablehnende Stimmabgabe des Gesellschafters B unwirksam und die für die wirksame Beschlussfassung hinsichtlich der Kapitalerhöhung erforderliche Stimmenmehrheit folglich erreicht sei. Der Gesellschafter B erhob gegen diese Feststellung Widerspruch zu Protokoll.
Der Kapitalerhöhungsbeschluss wurde anschließend in der Weise erweitert, dass nunmehr hilfsweise der Gesellschafter A auch die eigentlich dem Gesellschafter B zukommenden neuen Anteile übernehmen könne. Auch gegen den diesbezüglichen Beschluss stimmte der Gesellschafter B, wobei der Liquidator abermals eine wirksame Beschlussfassung auf Grundlage der zustimmenden Stimme des Gesellschafters A feststellte, wogegen der Gesellschafter B erneut seinen Widerspruch erklärte.
Nachdem die Handelsregisteranmeldung der Kapitalerhöhung eingereicht worden war, regte das Amtsgericht in zwei Verfügungen die Rücknahme der Anmeldung an. Einerseits machte das Gericht dabei geltend, dass es für einen wirksamen Kapitalerhöhungsbeschluss in der Phase der Liquidation einer Gesellschaft per se eines besonderen Grundes bedürfe, der vorliegend nicht gegeben sei. Andererseits brachte das Amtsgericht vor, dass der Erhöhungsbeschluss ohnehin nicht mit der erforderlichen Stimmenmehrheit gemäß § 53 Abs. 2 GmbHG gefasst worden sei, da die Stimmen des Gesellschafters B zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien.
Das Registergericht wies nunmehr die Anmeldung durch Beschluss und unter Verweis auf die beiden ergangenen Zwischenverfügungen zurück, wogegen die Gesellschaft und der Gesellschafter A Beschwerden einlegten. Das Registergericht half diesen nicht ab und legte seinen Nichtabhilfebeschluss dem erkennenden Senat vor.
Dieser verwarf zunächst die Beschwerde des Gesellschafters A als unzulässig mangels notwendiger Beschwer als Gesellschafter.
Auch die zulässige Beschwerde der Gesellschaft erklärte das Gericht für erfolglos, da das mit der Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister befasste Amtsgericht diese zu Recht zurückgewiesen habe.
Das Gericht stellte dabei zunächst fest, dass einerseits der Kapitalerhöhungsbeschluss nicht gemäß § 241 Abs. 1 Nr. 3, 4 AktG nichtig sei und andererseits unter Heranziehung von § 69 Abs. 1 GmbHG die Liquidation der Gesellschaft nicht per se gegen eine Möglichkeit zur rechtswirksamen Durchführung einer Kapitalerhöhung spreche. Dies soll jedoch in der vorliegenden Anmerkung mangels unmittelbarer Leitsatzrelevanz nicht weiter vertieft werden.
Des Weiteren entschied das erkennende Gericht, dass das Registergericht die Anmeldung indes deshalb zu Recht zurückgewiesen habe, weil der zugrundeliegende Kapitalerhöhungsbeschluss nicht mit der gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG erforderlichen 3/4-Mehrheit gefasst worden sei. Die Beschlussfeststellung durch den ad hoc bestellten Versammlungsleiter, der die Gegenstimmen als unwirksam erachtete, führe dabei zu keiner abweichenden Sichtweise.
Das Gericht machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass es die Literaturauffassung ablehnt, die durch einen Versammlungsleiter festgestellte Beschlüsse auch in der GmbH zunächst generell als wirksam erachtet und eine Beseitigung der Wirksamkeit erst auf dem Klageweg in Betracht zieht (Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., § 43 Rn. 33). Begründend führt das Gericht dazu an, dass der Gesetzgeber – anders als für die AG in § 130 AktG – für die GmbH keine Versammlungsleitung vorsehe und mangels Regelungslücke auch keine analoge Anwendung des § 130 AktG angezeigt sei.
Angesichts der „häufig personalistischen Ausrichtung der GmbH“ seien Durchführung und Ausgestaltung der GmbH-Gesellschafterversammlung durch den Gesetzgeber vielmehr komplett den Gesellschaftern überlassen.
Da die Satzung im zugrundeliegenden Fall keine entsprechenden Regelungen enthalte, kämen dem Versammlungsleiter nur jene Befugnisse zu, die ihm die Gesellschafterversammlung erteilt habe. Eine solche Erteilung müsse zwar nicht ausdrücklich, sondern könne auch konkludent erteilt werden. Insbesondere wenn die einzuräumende Befugnis sich auf so bedeutsame Gegenstände wie die Feststellung von Beschlüssen bezöge, setze eine wirksame Befugniserteilung ein darauf gerichtetes Bewusstsein der Gesellschafter voraus, das „mit der für das Registerverfahren notwendigen Sicherheit“ festgestellt werden können müsse.
Rein vorsorglich stellte das Gericht klar, dass auch aus einer Diskussion unter den Gesellschaftern nach Beschlussfeststellung über die Möglichkeit einer Anfechtungsklage nicht unmittelbar geschlossen werden könne, dass die Gesellschafter zuvor beabsichtigten hätten, dem Versammlungsleiter die Befugnis zur vorläufig wirksamen Beschlussfeststellung zu erteilen.
Abschließend entschied der Senat, dass auch die Rechtssicherheit nicht voraussetze, per se von einer Befugnis des Versammlungsleiters zur Beschlussfeststellung auszugehen. Abweichendes möge qua Gesetzes für die AG gelten. Im Fall der GmbH sichere die Möglichkeit der Erhebung einer positiven Beschlussfeststellungsklage die Rechtsposition der Beteiligten hinreichend.

C. Kontext der Entscheidung

Der vorliegende Beschluss des KG Berlin befindet sich in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung in oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur, dass dem Leiter einer GmbH-Gesellschafterversammlung nur jene Befugnisse zukommen, die ihm die Gesellschafterversammlung erteilt (vgl. nur OLG Köln, Urt. v. 16.05.2002 – 18 U 31/02; Seibt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl., § 48 Rn. 32: „Der Versammlungsleiter ist (…) ein Funktionsgehilfe der Gesellschafter“ – widersprüchlich demgegenüber die Ausführungen unter Rn. 53).
Dies zugrunde gelegt, gehen das OLG Jena (Urt. v. 25.04.2012 – 2 U 520/11) und das OLG Stuttgart (Beschl. v. 20.11.2012 – 14 U 39/12) bereits dann von einer Erteilung der Befugnis zur (vorläufig verbindlichen) Beschlussfeststellung an den – auch ad hoc bestellten – Versammlungsleiter aus, wenn der Versammlungsleiter mit dem Willen der anwesenden Gesellschafter tätig wird und sodann unwidersprochen entsprechende Beschlussfeststellungen in der Gesellschafterversammlung vornimmt (zustimmend statt vieler Wertenbruch in: MünchKomm GmbHG, 2. Aufl., § 47 Rn. 180).
Das KG Berlin nimmt gegenüber den Ausführungen der Oberlandesgerichte Jena und Stuttgart eine einschränkende Akzentuierung und Konkretisierung vor.
Danach kann gerade nicht von der allgemeinen Zustimmung der Gesellschafter zum Tätigwerden des Versammlungsleiters und einem späteren Unterlassen von Widerspruch gegen die Vornahme einer Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter darauf geschlossen werden, dass eine Befugnis zur Beschlussfeststellung durch die Gesellschafter erteilt ist. Eine gesonderte Befugniserteilung zur Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter kann zwar auch nach Auffassung des KG Berlin stillschweigend erteilt werden, es verlangt jedoch, dass sich ein diesbezügliches Bewusstsein mit für das Registerverfahren hinreichender Sicherheit feststellen lässt (in diesem Sinne ebenfalls Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 48 Rn. 17; Römermann in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl., § 47 Rn. 589).
Der erkennende Senat nimmt im Rahmen seiner Entscheidungsfindung eine Differenzierung zwischen AG- und GmbH-Recht vor und betont in diesem Zusammenhang einerseits den Mangel einer gesetzlichen Regelung zu Versammlungsleitung und Beschlussfeststellung im GmbH-Recht und andererseits den personalistischen Charakter der GmbH. Aus letzterem leitet das KG Berlin die Autonomie der Gesellschafter zur konkreten Festlegung des Umfangs der Befugnisse des Leiters der Gesellschafterversammlung ab und folgert im Umkehrschluss, dass dem Versammlungsleiter keine Befugnis hinsichtlich der Vornahme einer bestimmten Tätigkeit zukommt, solange die Intention einer diesbezüglichen Erteilung durch die Gesellschafter sich nicht ausreichend erkennbar manifestiert hat.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung zeigt eine gesellschafterfreundliche Tendenz, da verstärkt auf den (tatsächlichen oder mutmaßlichen) Willen der Gesellschafter hinsichtlich des konkreten Befugnisumfangs des ad hoc bestellten Gesellschafterversammlungsleiters abgestellt wird.
Gleichzeitig ist anzumerken, dass die behandelte Rechtsfrage mangels höchstrichterlicher Entscheidung nicht als abschließend geklärt betrachtet werden kann.
Für die Praxis scheinen vor diesem Hintergrund klare Regelungen in der Satzung oder einer Gesellschaftervereinbarung zu den Voraussetzungen einer wirksamen Fassung von Gesellschafterbeschlüssen auch unter Mitwirkung eines ad hoc bestellten Versammlungsleiters angezeigt. Dies macht eine – in ihrem Ausgang unsichere – gerichtliche ex-post-Prüfung des Vorliegens einer (stillschweigenden) Erteilung der Befugnis zur wirksamkeitsbegründenden Beschlussfeststellung an den ad hoc bestellten Versammlungsleiter durch die Gesellschafter hinfällig und schafft mithin Rechtssicherheit.