Nachfolgend ein Beitrag vom 11.9.2017 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 37/2017 Anm. 6

Leitsatz

Unterstellt eine juristische Person gemäß oder entsprechend § 291 AktG die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen, so führen die auf diesem Beherrschungsvertrag beruhenden umfassenden Weisungsrechte anders als die sich aus der Stellung als Mehrheitsgesellschafter gemäß § 46 Nr. 6 GmbHG ergebenden Weisungsrechte zur organisatorischen Eingliederung.

A. Problemstellung

Bisher war nicht höchstrichterlich entschieden, ob ein Beherrschungsvertrag ein taugliches Mittel darstellt, um die organisatorische Eingliederung für eine umsatzsteuerliche Organschaft zu erreichen. Diese Rechtsfrage hat der BFH nunmehr positiv geklärt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Klägerin ist eine GmbH, die 100% der Anteile an einer anderen GmbH hielt. Mit dieser GmbH wurde am 29.10.2007 ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen und am 04.12.2007 im Handelsregister eingetragen. Die Geschäftsführer der Gesellschaften waren nicht personenidentisch, und die Geschäftsführer der beherrschten Gesellschaft waren nicht bei der Klägerin angestellt.
Die Finanzverwaltung ging bei Außenprüfungen beider Gesellschaften von umsatzsteuerlicher Organschaft für das Jahr 2007 aus. Infolgedessen wurden sämtliche Umsätze der beherrschten GmbH bei der Klägerin erfasst. Nach erfolglosem Rechtsbehelfsverfahren erhob die GmbH finanzgerichtliche Klage, jedoch gleichfalls ohne Erfolg. Das Finanzgericht Neustadt/Weinstraße (Urt. v. 23.07.2015 – 6 K 1352/14 – EFG 2016, 844) sah den Beherrschungsvertrag als Auslöser einer organisatorischen Eingliederung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) an. Eine finanzielle und wirtschaftliche Eingliederung liege ebenfalls vor.
Mit der Revision zum BFH trug die Klägerin insbesondere vor, der Beherrschungsvertrag könne die erforderliche Personenidentität für eine organisatorische Eingliederung nicht ersetzen, und im Übrigen seien der GmbH tatsächlich keine Weisungen erteilt worden. Der BFH erklärte die Revision für begründet und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Er führte zur Begründung aus:
Grundsätzlich erfordere die umsatzsteuerliche Organschaft, dass eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sei. Die finanzielle und wirtschaftliche Eingliederung seien nicht streitig. Organisatorische Eingliederung bedeute, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnehme.
Es sei notwendig, die Voraussetzungen der Organschaft rechtssicher zu bestimmen, weil sich hieraus eine Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger ergebe. Im Regelfall erfordere die organisatorische Eingliederung die personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Organgesellschaft (Verweis auf BFH, Urt. v. 03.04.2008 – V R 76/05 – BStBl II 2008, 905; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 34/2008 Anm. 6).
Wenn eine juristische Person nach § 291 AktG entweder in direkter Anwendung (bei Aktiengesellschaften) oder in analoger Anwendung im GmbH-Recht (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – BGHZ 105, 324) ihre Leitung einem anderen Unternehmen unterstelle, begründet dies nach einhelliger Auffassung im Schrifttum und der Finanzverwaltung die organisatorische Eingliederung durch den Beherrschungsvertrag.
Es bestehe ein Unterschied zu der mit der finanziellen Eingliederung einhergehenden Möglichkeit des Mehrheitsgesellschafters, nach § 46 Nr. 6 GmbHG der Geschäftsführung Weisungen zwecks Ausführung der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu erteilen. Dieses Weisungsrecht allein erfülle nicht das Tatbestandsmerkmal der organisatorischen Eingliederung (vgl. zuletzt BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 15/14 – BStBl II 2017, 553; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 33/2016 Anm. 5). Der Beherrschungsvertrag beschränke sich jedoch nicht auf die Überwachung, sondern beziehe sich auf die Leitung der Gesellschaft und ermögliche es, dem Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft direkt Weisungen zu erteilen, ohne dass der Weg über die Gesellschafterversammlung gewählt werden müsse. Das Weisungsrecht des Mehrheitsgesellschafters eröffne hingegen nur die Möglichkeit, einzelne laufende Angelegenheiten an sich zu ziehen.
Allerdings müsse der Beherrschungsvertrag wirksam sein. Die Wirksamkeit des Beherrschungsvertrags setze dessen Eintragung im Handelsregister voraus (konstitutive Wirkung). Im Streitfall sei der Vertrag erst am 04.12.2007 im Handelsregister eingetragen worden. Damit bestehe die organisatorische Eingliederung erst ab diesem Zeitpunkt. Somit sei das FG-Urteil zwar bezüglich der Organschaft aufgrund Beherrschungsvertrags grundsätzlich zutreffend. Es habe jedoch nicht berücksichtigt, dass die vor der Eintragung verwirklichten Besteuerungsgrundlagen nicht in der Organschaft zu erfassen seien. Somit müsse die Vorentscheidung aufgehoben und durch das Finanzgericht festgestellt werden, welche Besteuerungsgrundlagen betroffen sind.

C. Kontext der Entscheidung

Die Finanzverwaltung akzeptiert explizit den Beherrschungsvertrag als Mittel der organisatorischen Eingliederung bei der umsatzsteuerlichen Organschaft seit einer Anpassung des Abschn. 2.8.10 UStAE durch BMF-Schreiben vom 07.03.2013 (vgl. BMF-Schreiben v. 07.03.2013 – IV D 2-S 7105/11/10001, FMNR0e2000013 – BStBl I 2013, 333; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 16/2013 Anm. 1). Die entsprechende Auffassung wurde kürzlich durch BMF-Schreiben vom 26.05.2017 (III C 2 – S 7105/15/10002 – BStBl I 2017, 790; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 28/2017 Anm. 1) präzisiert und unter anderem nunmehr ausdrücklich die Eingliederung erst ab Eintragung im Handelsregister akzeptiert.
Historisch gesehen war bei der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft der Beherrschungsvertrag als Mittel der organisatorischen Eingliederung ausdrücklich im Gesetzeswortlaut enthalten. Zwar fehlte eine entsprechende Regelung für Umsatzsteuerzwecke, doch ging die ganz herrschende Auffassung stets davon aus, dass der Beherrschungsvertrag ein taugliches Mittel sei.
Ansonsten erfordert die organisatorische Eingliederung nach ständiger Rechtsprechung des BFH und nunmehr aktueller Verwaltungsmeinung (vgl. BMF-Schreiben vom 26.05.2017, III C 2 – S 7105/15/10002 – BStBl I 2017, 790) im Grundfall eine personelle Verflechtung der Geschäftsleitungsorgane von Organträger und Organgesellschaft. Dabei ist es allerdings nicht zwingend, dass die Geschäftsleitungen vollständig personenidentisch sein müssen. Ebenso ist es zulässig, die personelle Verflechtung herzustellen, indem die entsprechenden Organe der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft angestellt sind. In diesem Punkt besteht eine leichte Divergenz zwischen Verwaltungsmeinung und bisheriger BFH-Rechtsprechung. Während der BFH sog. „leitende Mitarbeiter“ fordert (BFH, Urt. v. 20.08.2009 – V R 30/06 – BStBl II 2010, 863; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 5/2010 Anm. 6), ohne diesen Begriff näher zu definieren, reichen für die Finanzverwaltung „Mitarbeiter“ aus (erstmals vertreten im BMF-Schreiben v. 05.05.2014 – IV D 2-S 7105/11/10001 – BStBl I 2014, 820, unter Anpassung des UStAE).
Nach der Grundsatzentscheidung „Larentia + Minerva“ und „Marenave“ des EuGH (Urt. v. 16.07.2015 – C-108/14 und C-109/14 – MwStR 2015, 583; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 43/2015 Anm. 6) ist davon auszugehen, dass die umsatzsteuerliche Organschaft in Deutschland in absehbarer Zeit gesetzlich neu zu regeln ist. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass der EuGH das deutsche Verständnis von Eingliederung im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses als nicht unionsrechtskonform ansieht, weil das Unionsrecht in Art. 11 MwStSystRL lediglich enge gegenseitige Beziehungen voraussetzt. Ein Zeitplan ist allerdings nicht bekannt. Der BFH hat zwischenzeitlich entschieden, dass bis auf weiteres wegen der Notwendigkeit der rechtssicheren Entscheidung über die Organschaft am bisherigen Verständnis der Eingliederung festzuhalten ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das BFH-Urteil erhöht die Rechtssicherheit, da es die bereits vertretene langjährige Literaturmeinung und Verwaltungsauffassung grundsätzlich bestätigt. Ein Beherrschungsvertrag ist demnach ein taugliches Mittel für die organisatorische Eingliederung. Er bietet dabei eindeutig den Vorteil, dass es auf Veränderungen in der Geschäftsführung der Organgesellschaft oder des Organträgers überhaupt nicht ankommt.
Wird eine Organschaft hingegen auf personelle Verflechtung gestützt, besteht das Risiko, dass beispielsweise bei Ausscheiden eines Geschäftsführers oder Bestellung eines weiteren Geschäftsführers plötzlich die Organschaft nicht mehr besteht oder umgekehrt plötzlich eine Organschaft eintreten kann.
Insbesondere der erstere Fall ist umsatzsteuerlich sehr riskant, weil dann sämtliche bisherigen Innenleistungen zwischen den beteiligten Gesellschaften, soweit sie nicht steuerfrei sind, der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind. Dies ist bereits nachteilig, wenn volles Vorsteuerabzugsrecht besteht, weil der Vorsteuerabzug den Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung voraussetzt und dies bezüglich der nicht erfolgten Abrechnung mit Umsatzsteuer vermutlich auch nach der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache „Senatex“ (EuGH, Urt. v. 15.09.2016 – C-518/14 – MwStR 2016, 792; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 49/2016 Anm. 5) weiterhin nicht rückwirkend zu heilen sein wird.
Schlimmer werden die Rechtsfolgen, wenn die empfangende Gesellschaft nur teilweise oder gar nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vgl. § 15 Abs. 2 UStG, zum Beispiel Banken, Versicherungen, Krankenhäuser, usw.). Zusätzlich besteht stets das Risiko der Verzinsung nach § 233a AO.
Allerdings führt ein Beherrschungsvertrag auch zu Nachteilen für das beherrschende Unternehmen. Dieses ist nämlich verpflichtet, Bilanzverluste des beherrschten Unternehmens auszugleichen (§ 302 Abs. 1 AktG), und muss bei Beendigung den Gläubigern ggf. Sicherheiten für Forderungen leisten (§ 303 AktG). Daher sind Beherrschungsverträge insbesondere bei Tochterunternehmen, die außenstehende Minderheitsgesellschafter haben, in der Konzernpraxis unüblich.
Bei voll beherrschten Gesellschaften ist dagegen grundsätzlich über einen kombinierten Beherrschungsvertrag und Gewinnabführungsvertrag nachzudenken, da dieser dann auch die Möglichkeit bietet, körperschaftsteuerlich und gewerbesteuerlich im Wege einer Organschaft Gewinne und Verluste untereinander auszugleichen.