Nachfolgend ein Beitrag vom 27.3.2017 von Cranshaw, jurisPR-InsR 6/2017 Anm. 1

Leitsatz

Erfüllt der Schuldner einen Werkvertrag, für den ein Dritter eine Anzahlungsbürgschaft übernommen hat, liegt darin gegenüber dem Gesellschafter, der dem Dritten für die Bürgschaft eine Sicherheit gestellt hat, keine Rückgewähr einer gleichgestellten Forderung.

A. Problemstellung

Der BGH hatte sich im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit § 135 Abs. 2 InsO anwendbar ist, wenn ein (atypisch stiller) Gesellschafter zur Besicherung der Avalkreditlinie einer GmbH ein Bankguthaben an den Avalgläubiger, eine Bank, verpfändet und der verpfändete Betrag teilweise frei geworden ist und zwar deshalb, weil die übernommenen Avale infolge der Erfüllung der durch sie besicherten „Grundgeschäfte“ zwischen dem späteren Schuldner und den Avalbegünstigten in der entsprechenden Höhe nicht in Anspruch genommen wurden. Streitgegenstand ist damit die Reichweite des § 135 Abs. 2 InsO, der im Übrigen von der vom Bundestag im Februar 2017 verabschiedeten Reform des Anfechtungsrechts unberührt bleibt (vgl. zu den Änderungen die BT-Drs. 18/11199 v. 15.02.2017, sowie Wimmer, jurisPR-InsR 5/2017 Anm. 1).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Die später insolvent gewordene L. GmbH verabredete mit der späteren Beklagten am 07.08.2008 einen Vertrag über eine atypisch stille Gesellschaft, wonach die stille Gesellschafterin eine Einlage von 1,0 Mio. Euro leisten sollte. Die Bank der L. räumte dieser wenig später, am 03.09.2008, eine Avalkreditlinie (Avalrahmen) von 1,0 Mio. Euro ein. Die Beklagte und stille Gesellschafterin verpfändete der Bank zur Besicherung von deren Ansprüchen aus dem Avalkredit ein Bankguthaben über denselben Betrag. Ob damit zugleich die Einlage erbracht werden sollte, bleibt offen und ist auch angesichts des Streitgegenstandes des vorliegenden Verfahrens nicht weiter zu vertiefen. Die Schuldnerin L. vereinbarte in der Folge Werkleistungen mit diversen Auftraggebern, die Anzahlungen erbrachten, deren etwaige Rückforderung wiederum durch Bankavale der Bank der L. verbürgt wurden (wobei der Aufwendungsersatzanspruch der Bank aus dem Aval gemäß § 670 BGB seinerseits durch die Verpfändung des Guthabens der atypisch stillen Gesellschafterin der L. besichert war). Mit weiteren übernommenen Bürgschaften zusammen belief sich die Summe der von der Bank übernommenen Avale am 10.06.2009 auf ca. 2.027.000 Euro.
Am 14.05.2009 hatte die L. Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt. Das Verfahren wurde am 01.08.2009 eröffnet, der spätere Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Bank zahlte auf drei der übernommenen Avale insgesamt ca. 635.000 Euro, die weiteren Avale wurden offenbar endgültig nicht in Anspruch genommen. Die Schuldnerin hatte vielmehr die zugrunde liegenden Werkverträge ordnungsgemäß erfüllt, so dass der Anspruch auf Rückzahlung der (durch die Avale besicherten) Anzahlungen entfiel. Die Bank befriedigte ihren Aufwendungsersatzanspruch gegen die Schuldnerin offenkundig aus dem verpfändeten Guthaben der Beklagten in Höhe der vorerwähnten 1,0 Mio. Euro. Der Differenzbetrag in Höhe von ca. 365.000 Euro wurde damit frei. Der Kläger begehrte daher die Zahlung dieses Betrages unter dem anfechtungsrechtlichen Aspekt des § 135 Abs. 2 InsO, die Sicherheit sei zugunsten der Masse auszuzahlen.
Die Klage war vor dem LG Koblenz ohne Erfolg, ebenso die Berufung zum OLG Koblenz, das die Revision nicht zugelassen hat.
II. Der BGH hat die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen; weder die „Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung [bedürften] einer Entscheidung des Revisionsgerichts […]“.
Der BGH hat ausdrücklich offengelassen, ob das Berufungsgericht den Begriff der Gläubigerbenachteiligung zutreffend gewürdigt hat und ob die Beklagte einem Gesellschafter der L. gleich zu achten war. Entscheidend sei nämlich, dass die Schuldnerin weder „eine Darlehensforderung noch eine einem Darlehen gleichstehende Forderung der Bank erfüllt“ habe, wie dies § 135 Abs. 2 InsO fordert. Die von der Schuldnerin erfüllten Werkverträge seien nicht als Leistung auf die von der Beklagten besicherten (Aufwendungsersatz-)Ansprüche der Bank zu betrachten. Die Anzahlungsavale würden nur den bedingten Rückgewähranspruch der Auftraggeber des Werkunternehmers auf Rückzahlung der Anzahlungen besichern und daher das Risiko des Scheiterns des Werkvertrages abdecken. Der Anspruch des Auftraggebers sei aufschiebend bedingt (durch die Nichterfüllung des Werkvertrages). Erfüllt der Werkunternehmer, entstehe der Rückzahlungsanspruch (mangels Bedingungseintritts) nicht. Die Erfüllung des Werkvertrags, hier durch die Schuldnerin L., sei aber keine Erfüllung des Anspruchs der Bank im Kontext mit den Anzahlungsavalen; der BGH spricht hier von einem „Rückzahlungsanspruch“ bzw. einem „Befreiungs- oder Regressanspruch“ der Bank. Offen könne bleiben, ob in der Erfüllung des Werkvertrags zugleich die Rückzahlung einer Forderung gesehen werden könne, die einem Darlehen wirtschaftlich vergleichbar sei. Eine solche Forderung habe die Beklagte aber nicht besichert.

C. Kontext der Entscheidung

I. Der Entscheidung des Insolvenzrechtssenats ist zuzustimmen. Sie hegt die Tragweite des § 135 Abs. 2 InsO nicht nur vertretbar, sondern allein zutreffend ein. Eine gegenteilige Entscheidung hätte eine Tendenz zur uferlosen Ausweitung der Norm gefördert. Man darf daher die Frage stellen, ob vorliegend überhaupt eine Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 InsO zu bejahen ist. Allerdings ist dieses objektive Tatbestandsmerkmal jeder Insolvenzanfechtung in einem Fall behaupteter allenfalls sehr mittelbarer Gläubigerbenachteiligung wie hier so eng mit dem weiteren Merkmalen der Anfechtungsnorm verknüpft, dass der Senat eine eingehende Prüfung des § 129 InsO hat dahinstehen lassen können. Überraschend ist freilich, dass er Zweifel hat anklingen lassen, ob vorliegend die Beklagte als atypisch stille Gesellschafterin tatsächlich einem Gesellschafter gleichstehe; die sehr kurze Andeutung, diese Frage könne (ebenfalls) dahinstehen, mag damit zusammenhängen, dass ggf. die Feststellungen des Berufungsgerichts Zweifel erkennen ließen, ob es sich tatsächlich um eine atypisch stille Gesellschaft gehandelt hat. Nicht umstritten ist freilich letztlich, dass der einem Gesellschafter „weitgehend angenäherte“ atypisch stille Gesellschafter als mittelbarer Gesellschafter dem Gesellschafter insolvenzrechtlich i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gleichzustellen ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2012 – IX ZR 191/11 – BGHZ 193, 378; K. Schmidt/Herchen in: K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 39 Rn. 49 m.w.N.). Damit hat sich durch das MoMiG (2008) an dieser Folge nichts geändert.
II. Geht man also davon aus, dass der atypisch stille Gesellschafter im Grundsatz § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4, 5 InsO subsumiert ist, so muss seine Kapitalbeteiligung als Folge des Abs. 5 der zitierten Norm mehr als 10% des Kapitals des Geschäftsinhabers (vgl. § 230 Abs. 1 HGB), bestehend aus der Summe des gezeichneten Kapitals der Beteiligungsgesellschaft (z.B. GmbH, AG) und der gesamten atypisch stillen Einlagen erreichen, da ansonsten das Kleinbeteiligungsprivileg greift und mit § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auch § 135 InsO unanwendbar wird. Geschäftsführungsbefugt wird der Stille generell nicht sein (vgl. § 39 Abs. 5 Halbsatz 1 InsO).
Neben der über das Kleinbeteiligungsprivileg hinausreichenden Beteiligung setzt § 135 Abs. 2 InsO vorliegend voraus, dass ein Gesellschafter für eine Gesellschaftsschuld einem Dritten für ein Darlehen oder ein darlehensgleiches Instrument eine Sicherheit gewährt hat und die Gesellschaft ihre Schuld gegenüber dem Dritten beglichen hat. Die Sicherheit des Gesellschafters ist dann von dem Gesellschaftsgläubiger ganz oder teilweise freizugeben, oder sie wird – je nach der Art der Sicherheit – „automatisch“ frei. Vorliegend erlosch das akzessorische Pfandrecht der Bank, als feststand, dass eine Inanspruchnahme der Bank aus den von ihr übernommenen Avalen im Umfang von 364.000 Euro nicht mehr möglich war. Bei einer ökonomischen Gesamtbetrachtung liegt der Gedanke nahe, dass die Struktur des § 135 Abs. 2 InsO zur Folge hat, dass der frei gewordene Differenzbetrag an die Masse zu fließen hat, denn die Sicherheit ist dadurch freigeworden, dass die Gesellschaft den Werkvertrag erfüllt hat. Zwischen dem Freiwerden der Sicherheit und der Leistung der Gesellschaft besteht daher Kausalität. Hätte sie nicht erfüllt, wären die Avale vollständig in Anspruch genommen worden, wodurch der Aufwendungsersatzanspruch der Bank nach § 670 BGB ausgelöst worden wäre, der mangels Leistung der Schuldnerin aus dem Pfandrecht befriedigt worden wäre. Hätte aber die Schuldnerin den Anspruch nach § 670 BGB befriedigt, hätte die stille Gesellschafterin tatsächlich nach § 135 Abs. 2 InsO den noch vorhandenen Betrag der Sicherheit an die Masse, d.h. den Kläger, zahlen müssen. Die Befriedigung des Aufwendungsersatzanspruchs der Bank durch die Gesellschaft steht der Rückzahlung auf ein Darlehen wirtschaftlich gleich i.S.d. § 135 Abs. 2 HS. 2 InsO. Die Folge ist die Anfechtung gegenüber dem Gesellschafter und dessen Erstattungspflicht im Umfang des Wertes der freigewordenen Sicherheit (vgl. zu dieser Rechtsfolge bei Büteröwe in: K. Schmidt, InsO, § 143 Rn. 31, zur Kritik an der unglücklichen Formulierung des Gesetzgebers in § 135 InsO vgl. K. Schmidt in: K. Schmidt, InsO, § 135 Rn. 25).
III. Diese Zusammenhänge sind aus dem Blick des Senats aber nicht hinreichend, um hier die Anfechtung zu begründen. Die beklagte stille Gesellschafterin hat nämlich nicht einen Anspruch besichert, den die Auftraggeber der Schuldnerin auf Erfüllung hatten, sondern den Anspruch der Bank gegen die Schuldnerin für den Fall der Inanspruchnahme aus dem Aval. Dabei geht es nicht um den Anspruch als Folge der cessio legis des § 774 Abs. 1 BGB. Vielmehr hat die Bank im Fall der Zahlung aus dem Aval einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Avalkreditnehmer nach § 670 BGB in Verbindung mit dem Avalkreditvertrag, denn das Avalverhältnis zwischen Bank und Avalkreditnehmer ist entgeltliche Geschäftsbesorgung, nicht ein Darlehensverhältnis nach Maßgabe der §§ 488 ff. BGB (vgl. im Einzelnen Cranshaw/Steinwachs/Bruhn, ZInsO 2013, 1005, 1006 f., 1008 f. m.w.N.). Der Bank als Bürgin steht ferner schon vor der Inanspruchnahme durch den Begünstigten ein Anspruch auf Freistellung von dem Bürgenrisiko unter den Voraussetzungen des § 775 BGB zu, der nach § 775 Abs. 2 BGB auch durch Sicherheitsleistung erfüllt werden kann, die hier in Gestalt der Verpfändung des Guthabens eines Dritten als Kreditsicherheit aber bereits vorlag. Auf diese Norm kommt es aber in der Praxis nicht an, da die von den jeweiligen Instituten ganz ähnlich strukturierten und standardisierten Avalbedingungen einen vertraglichen Freistellungsanspruch enthalten und im Allgemeinen – wie hier – ohnedies eine Sicherheit oder Drittsicherheit vereinbart wird, deren (ggf. enger) Sicherungszweck die Besicherung von Inanspruchnahmerisiken aus übernommenen Avalen betrifft. In dieser Besicherung bestand die Gesellschafterleistung der atypisch stillen Beklagten und nicht in der Besicherung der Rückzahlungsansprüche der Auftraggeber aus den Anzahlungen.
Wendet man § 135 Abs. 2 InsO auf die Sicherheit des atypisch Stillen zugunsten des Geschäftsinhabers an, ist das bereits die Bejahung einer mittelbaren, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO subsumierten Gesellschafterforderung, die einem Darlehen vergleichbar erklärt wird. Die Heranziehung der Vorschrift auf den atypisch stillen Gesellschafter ist nochmals eine Erweiterung der Sphäre der Beteiligten, deren Forderungen im Fall der Insolvenz nachrangig sind (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), so dass dem gleichstehende Konstruktionen ebenfalls anfechtbar sein sollen (§ 135 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 InsO). Die Schuldnerin hat jedoch hier eben gerade nicht die Bank befriedigt, die Inhaberin der Sicherheit war, sondern sie hat die außerhalb dieses Verhältnis stehenden Auftraggeber der Schuldnerin aus Werkverträgen erfüllt, deren bedingter Rückzahlungsanspruch auf die Anzahlung damit nicht entstanden ist. Hierauf § 135 Abs. 2 InsO anzuwenden, hätte bedeutet, einen Vorgang aus einer weiteren Sphäre außerhalb des Verhältnisses der GmbH zu ihrem Gesellschafter ebenfalls zu einem solchen zu erklären, der einem Darlehen wirtschaftlich gleichstehe oder eine Erstreckung auf einen den Gesellschafter nur mittelbar berührenden Vorgang. Der Wortlaut des § 135 Abs. 2 InsO, auf den der BGH hier ersichtlich rekurriert, ermöglicht das offenkundig nicht. § 135 Abs. 2 HS. 2 InsO führt ebenfalls nicht weiter, da die dort genannten Leistungen, die „einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen“, sich ebenfalls auf die unmittelbare Besicherung des Anspruchs des Dritten im Sinn des Halbsatzes 1 der Norm beziehen, welchen die Gesellschaft mit der Folge des Freiwerdens der Sicherheit des Gesellschafters in der hier relevanten Jahresfrist vor dem Insolvenzantrag oder danach befriedigt hat.

D. Auswirkungen für die Praxis

Insolvenzverwalter werden sich bei der Stellung von Gesellschaftersicherheiten für Gesellschaftsgläubiger, die durch Erfüllung seitens des Schuldners freiwerden, nicht auf § 135 Abs. 2 InsO stützen können, wenn die Sicherheit nicht dem unmittelbaren Gläubiger zur Verfügung stand. Da in der Praxis Sicherheiten für Dritte nur durch Banken gestellt werden, die wiederum wie hier besichert werden, scheidet in ganzen Branchen, die in großem Umfang durch Avalkredite finanziert werden, die Heranziehung des § 135 Abs. 2 InsO aus, wenn der Schuldner seine Werkverträge erfüllt. Soll das Schuldnerunternehmen auf dem Wege der Sanierung fortgeführt werden, wird es seine Werkverträge aber möglichst erfüllen, um am Markt für seine aktuellen oder potentiellen Auftraggeber attraktiv zu bleiben. Damit wird insbesondere bei den Anzahlungsavalen häufig eine Inanspruchnahme ausbleiben, und die Gesellschaftersicherheit wird im Hinblick auf die Regelungen der §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO folgenlos freiwerden.